Tiefe Einblicke in die Dramaturgie gewährte uns am vergangen Wochenende Drehbuchautor und Dramaturg Bernd Lange. Er schrieb unter anderem das Drehbuch für den Film „Requiem“ oder den kürzlich bei der Berlinale ausgezeichneten Film „Sturm“.
Dem Seminar „Dramaturgie und Stoffentwicklung“ verliehen Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich diesmal ein besonders internationales Flair. Das Wissen aus der Filmdramaturgie für die Prosa fruchtbar zu machen – das war der Anspruch, der voll eingelöst wurde. Bernd Lange arbeitet dabei vor allem mit der Matrix „Protagonist – Antagonist, Milieu – Thema“. Diese vier Aspekte einer Geschichte sind wie Puzzleteile, die, neu zusammengesetzt, ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Geschichten ergeben. Ein Beispiel: Angenommen, man möchte von einem Konflikt zwischen Vater und Sohn, etwa einen Ablösungsprozess, erzählen. Protagonist ist der Sohn, Antagonist der Vater, das Thema ist die Ablösung. Allein, in welchem Milieu man diese Geschichte nun ansiedelt, hat elementare Auswirkungen auf die Geschichte. Spielt sie im Arbeitermilieu, speziell vielleicht im Submilieu der Gewerkschaft? Im Nationalsozialismus? Im Großbürgertum, im Adel? Obwohl das Thema (der tief menschliche Vater-Sohn-Konflikt) gleich bleibt, wird die Geschichte jedes Mal eine andere. Tauscht man den Vater gegen die Mutter, verändert man das Thema (statt Ablösung z.B. Rache), entsteht jedesmal eine andere Geschichte.
Antagonisten müssen dabei nicht immer zwingend Personen sein. Bernd Lange stellte im Seminar drei Arten von antagonistischen Kräften vor: Situationsantagonismen (Krieg, Weltuntergang, einsame Insel, Rückkehr nach Hause, Midlifecrisis, ein Minenfeld, „Ticking Clock“-Situationen), Persönliche Antagonisten (zugeschnitten auf den Konflikt stehen sie dem zentralen inneren Wert der Hauptfigur gegenüber; um deren Positionen klar entgegenzusetzen, müssen die Ziele konträr sein) oder innere Antagonisten (Trauma, Höhenangst, Bindungsängste, Minderwertigkeitskomplexe, etc.) Nur durch eine Figur im Konflikt mit ihrem Antagonismus erreichen wir Hoffnung und Furcht und dadurch Anteilnahme des Zuschauers. Je stärker dieser Zwiespalt, desto größer werden Hoffnung und Furcht. Je stärker diese Kluft ist, desto mehr muss die Figur kämpfen und Widerstände überwinden, desto gebannter kann ein Zuschauer sein. Ein neuer, absolut lohnender Blick auf Dramaturgie für Prosaautoren.

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