„Heutzutage ist alles möglich“

Alle reden von Genreliteratur – was bedeutet „Genre“ eigentlich?  
Es gibt unterschiedliche Ansätze von Definitionen. Manchmal wird „Genre“ als Synonym zu „Gattung“ verwendet, an anderer Stelle dient der Begriff zur Unterscheidung von Texten innerhalb einer Gattung. Es geht um die Klassifizierung von Texten anhand ihrer Eigenschaften, sodass Texte mit ähnlichen Merkmalen denselben Genrekategorien zugeordnet werden können. Man kann sich dem Begriff letztlich nur vage annähern. Wie genau Texte bestimmte Genrekriterien erfüllen, das variiert. Denn sowohl Genres als auch ihre Kriterien entwickeln sich. Es herrscht eine ständige Dynamik und es gibt keine allzeit gültigen Merkmale für bestimmte Genres.

Wofür sind Genres gut?
Wenn man sich verschiedene Genres genauer anschaut, kristallisieren sich so genannte Genrekonventionen heraus, zum Beispiel: Im Genre Krimi gibt es natürlich immer einen Kriminalfall, den es aufzulösen gilt. Es gibt in der Regel eine ermittelnde Figur. – Darauf kann sich der Leser verlassen. Diese Konventionen sollte man beim Schreiben im Hinterkopf behalten. Sie sollten aber nicht als Hindernis oder Einschränkung der Kreativität verstanden werden. Sie sind vielmehr Orientierungspfeiler auf dem Weg des Schreibens. Und alles, was zwischen den einzelnen Pfeilern passiert, sogar die Struktur der Pfeiler selbst, kann kreativ ausgestaltet werden. Aber diese Kreativität wird erst dadurch möglich, dass die Pfeiler gesetzt sind. Es geht hierbei auch viel um ein Reflektieren des eigenen Schreibens.

Oft werden Genreliteratur und literarische, künstlerische Literatur als Gegensätze dargestellt. Gibt es eine klare Grenze?  
Es gibt durchaus Romane, die bestimmte Regeln, wenn man es so nennen möchte, klar erfüllen und demnach eindeutig einzelnen Genres zugeordnet werden können. Genauso gibt es aber auch Texte, die zum Beispiel Merkmale mehrerer, unterschiedlicher Genrekategorien aufweisen und somit nicht mehr in eine konkrete bekannte Sparte passen. Hierdurch entstehen zum Beispiel auch neue Genres und neue Trends. Im Weiteren gibt es Romane, die die Vorgaben eines bestimmten Genres verhandeln, indem sie diese neuartig umsetzen oder abwandeln. Und zwar in ganz unterschiedliche Richtungen. Zum Beispiel sprachlich, so dass neben dem Plot auch die Sprache in den Hauptfokus rückt. Oder es wird ein gesellschaftlich oder politisch relevantes Themenfeld aufgemacht, das über die erzählte Geschichte hinaus eine Tragweite hat. Manche Geschichten sind sehr handlungsgetrieben, zunächst ein Merkmal für Genreliteratur. Wenn sie darüber hinaus noch viel mehr aufweisen, wird klar, dass es eindeutige Grenzen nicht gibt und nicht geben kann.– Rund um die Genrepfeiler herum ist also alles möglich, von der klassischen Genreliteratur über die gehobene Unterhaltung bis zur Literatur – oder einer Mischung von alldem.


Aylin Salzmann studierte Literaturwissenschaften an der Universität zu Köln, am UCL London und der University of Cambridge. Nach Stationen beim DuMont Buchverlag und dem Literaturhaus Köln war sie im belletristischen Lektorat des Piper Verlags, für verschiedene Scouts und Agenturen in Großbritannien und als Literaturagentin bei der Agentur Michael Gaeb tätig. Seit 2014 arbeitet sie als Lektorin bei den Ullstein Buchverlagen.

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