„Ich stelle die Welt auf den Kopf“
Ein Gespräch mit dem Kinderbuchautor Erwin Grosche über Rhythmus, Rasierschaum und Regenbogengedichte.


Erwin Grosche, Sie sind Kabarettist und Autor. Neben Ihren Programmen für Erwachsene schreiben Sie Gedichte und Geschichten für Kinder. Wie kommen Sie auf Ideen?  
Wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, nehme ich immer die gleichen Wege. Da fällt mir jede Veränderung auf. Zum Beispiel der Wechsel der Jahreszeiten: Hagel oder wenn die Felder gemäht werden, auch wenn Gülle auf die Felder kommt und es stinkt. Und es gibt auch unglaubliche Geräte. Ich sage immer: Die schönsten Fahrzeuge hat die städtische Reinigung. Die fahren immer so langsam, die saugen immer alles auf. Presslufthammer machen Krach. Ich habe gelernt, eine Tür aufzumachen zu der Welt der Geräusche und der Klänge. Zu dem, was nicht wichtig erscheint, und das wird auf einmal sehr wichtig. Die Welt der Geräusche und der Nebensächlichkeiten ist unendlich groß.

Sind ihre Gedichte immer gereimt?
Ich weiß das nicht. Ich suche das nicht. Ein Gedicht kann auch so aussehen:
Die Seife
Seife
Seif
Sei
Se
S
Sauber

Allein dieses „sauber“ ist schon ein Glücksfall. Das hat man nicht immer, dass am Schluss ein Gag kommt. – Das ist sehr überzeugend.

Was macht so ein Gedicht überzeugend?
Das ist die Schlichtheit. Das macht einem nichts vor. Das funktioniert, weil es scheinbar so sein muss. Das ist: Nicht lange nachgedacht. Ich würde immer noch gern etwas über Rasierschaum machen. Aber da muss man manchmal auch warten können. Zehn Jahre warte ich schon darauf. Ich kann das nicht am Schreibtisch schreiben, das muss kommen.

Beim Rasieren?
Ich hoffe es. Manchmal denke ich, ich habe es, bin kurz davor. Aber man kann es nicht zwingen. – Rasierschaum, Shampooflasche – ich spüre, was da drin ist in diesem Gedicht. Und ich kann mich da nicht ausruhen, indem ich „Rasierschaum“ auf „kaum“ reime, wie man das so machen würde. – Nein, man muss warten, bis man dran ist (lacht).

Sollten Gedichte also gar nicht bedeutungsschwer sein?
Das ist eben meine Form. Jeder hat einen eigenen poetischen Ton, den er finden muss. Und da muss er manchmal auch Umwege gehen. Bis er den spürt, hat man womöglich schon drei Regenbogengedichte verbrochen. Mein eigenes Thema finde ich, indem ich die Welt auf den Kopf stelle. Und nicht das nehme, was mir überall vorgegeben wird.

Was macht ein tolles Gedicht aus?
Rhythmus – das finde ich das allerwichtigste. Und: Ein Gedicht muss für mich schlicht sein. Dann behält es so etwas Fremdes, wie aus einer anderen Welt, etwas Wunderbares. Das geht auch, indem man abgibt: Nicht zu viel Kopf. Man kann auch lautmalerisch dichten, zum Beispiel mit so etwas wie „kling, klang, klong“. So kommen auch Lautgedichte zustande, wie sie zum Beispiel Morgenstern geschrieben hat.

Hilft Musik beim Dichten?
Es ist nicht verkehrt, die Dinge daraufhin abzuklopfen, ob sie gut klingen. Ich finde sogar: Klang geht noch vor Sinn. Zum Beispiel der Bi-Ba-Butzemann, der im Haus herumspringt: Das klingt gut, das ist ein gutes Wort. Wenn ich ein Gedicht geschrieben habe, singe ich es oft zu einer einfachen Melodie. Dann merke ich sehr schnell, welche Wörter ich umstellen muss und welche raus müssen.

Spielt Musikalität der Sprache beim Schreiben von Prosa auch eine Rolle?
Ja, wenn der Text zum Vorlesen und laut lesen gedacht ist. Die meisten Prosatexte, die ich mache, sind Vorlesetexte. Eltern lesen sie ihren Kindern vor dem Schlafengehen vor. Die sollen auch klingen. Und sie sollen so sein, dass das Kind nach dem dritten Mal mitsprechen kann. Ich habe da auch gern einen Refrain.

Was können Schriftsteller von Kabarettisten lernen?
Ich weiß gar nicht, ob Schriftsteller etwas von uns lernen sollten. Wir Kabarettisten sind ja schon ein bisschen oberflächlich. Ich fände es gut, wenn die Zuhörer wüssten, dass ein Riesenunterschied besteht, zwischen einem Buch von Péter Nádas und einem Buch von Hape Kerkeling, das viel leichter zu konsumieren ist. Es ist ein ganz anderer Zugriff auf die Welt, viele Jahre an einem Buch zu schreiben. Eigentlich können wir Kabarettisten mehr von den Autoren lernen, aber dürfen das nicht zu sehr. Weil man als Kabarettist viel mehr Auftritte hat und viel mehr Geld verdient als ein erfolgloser Autor. (lacht)

Wie rettet man sich über die Durststrecken beim Schreiben – die ja als Kabarettist nicht ganz so lang sind?
Oh, wir haben eine lange Sommerpause, da will man auch immer aufhören. Da kann man sich nur retten, indem man die Erfahrung macht, dass es vorbeigeht.


Erwin Grosche wurde 1955 in Paderborn geboren. Er ist Kabarettist und Musiker, Kinderbuchautor, Schauspieler und Filmemacher. Grosches Lautdichtung findet sich in vielen deutschen Lesebüchern und bringt Kindern die Musikalität der Sprache mit viel Humor nahe. Grosche hat inzwischen über 50 Kinder- und Jugendbücher geschrieben und gründete 2014 den Paderborner Kinderbuchverlag. Er produziert für Film, Funk und Fernsehen, beispielsweise für die „Sendung mit der Maus“ und die „Bärenbude“.

(Foto: Harald Morsch)

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