„Digitale Medien ermöglichen neue Möglichkeiten des kollaborativen Schreibens“


Bettina Soller studierte in Hannover und Texas. Ihr Studium schloss sie 2009 mit der Magisterarbeit „Sex and the City and Friends: Negotiating Different Forms of Relationships“ ab. Bettina Soller war  assoziiertes Mitglied der DFG-Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ und arbeitet an ihrer Dissertation zum Thema „Fan Fiction“.

Sie untersuchen als Wissenschaftlerin unter anderem Formen und Wirkungen seriellen Erzählens. Ist das serielle Erzählen eine Art neues Paradigma des Erzählens geworden?
Die Allgegenwart von Superhelden-Blockbustern und international erfolgreichen Fernsehserien, ob aus Dänemark, Großbritannien oder den USA, sowie Roman- und Krimiserien auf dem Buchmarkt können uns das Gefühl vermitteln, dass fast nur noch in Serie erzählt wird. Das Gefühl der wuchernden Vervielfältigung hat aber sicher auch etwas damit zu tun, dass wir populärkulturelle Texte und ihre Erzählungen vermittelt durch alle möglichen Kanäle rezipieren, vom Buch und Comic über den Fernseher, das Kino, das Handy oder den Laptop, die Spielekonsole und so weiter. Dabei können wir über verschiedene Medien auf die gleichen Texte zugreifen oder in einem engen Transmedia Begriff Spin-offs und ergänzende Erzählungen zum Beispiel in Form eines Webcomics auf dem Handy in der Bahn lesen, während für uns der Kinofilm das Mutterschiff der Erzählung bleibt. Serielles Erzählen ist jedoch eine dominante Form der Populärkultur seit Aufkommen der Massenmedien und der Veröffentlichung von Fortsetzungsgeschichten und Comics in Zeitungen. Seit frühsten Tagen gibt es auch Fans und Amateure die in den Pausen zwischen einzelnen Folgen einer Erzählung das Geschehen selbst fortschreiben. Meine eigene Forschung beschäftigt sich mit einer speziellen Form der Fanpartizipation, in der Fans fantastische Romanserien wie „Harry Potter“ fortschreiben und online veröffentlichen, ähnliche Fanaktivitäten gab es aber auch schon um die letzte Jahrhundertwende zum Beispiel im „Sherlock Holmes“ Fandom.

Wenn Fans häufiger in Entscheidungen einbezogen werden – verändert sich die Autorschaft in Zukunft? Weg vom Einzelautor, hin zum Schwarm?
Autorschaft bedeutet in unserer Umgangssprache ganz viele Dinge gleichzeitig. Es beschreibt unter anderem den Entstehungsprozess, gebunden an Technologien und entweder als Schreibender alleine am Schreibtisch oder als kollaborativen Akt zwischen zum Beispiel Autor und Lektor oder in einer Gruppe Schreibender, die gemeinsam einen Text verfassen. Abgesehen von der Frage, wie die Wörter auf dem Papier landen, gibt es noch die Performance von Autorschaft. Diese beiden Aspekte von Autorschaft existieren oft losgelöst oder im Widerspruch zueinander. Schon immer gab es Autoren, die durch ihre Performance als schreibendes Genie wahrgenommen wurden, deren Lektoren aber zu großen Teilen an der Textgestaltung beteiligt waren, oder die vielen Fälle, in denen die Ehefrauen der Autoren eifrig mitgeschrieben haben, deren Arbeit aber totgeschwiegen wurde. Digitale Medien ermöglichen natürlich neue Möglichkeiten des gemeinsamen und kollaborativen Schreibens. Man sollte allerdings nicht geschicktes Marketing verwechseln mit Autorschaft im Sinne einer Autorität über den veröffentlichten Text. Dass Fans tatsächlich großen Einfluss auf entstehende Texte im Sinn haben, wage ich zu bezweifeln, aber sicherlich gibt es durch die Möglichkeiten der Partizipation eine veränderte Performance von Autorschaft, die Gemeinschaftlichkeit stärker in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig gibt es eben auch, speziell online, viele Möglichkeiten für den Schwarm Erzählungen fortzuführen, ohne offiziell autorisiert zu sein.

Bekannte Werke wie etwa die „Fifty Shades of Grey“-Serie sind aus der Fan-Fiction heraus entstanden, also beim Weiterschreiben bekannter Bücher durch Leser. Welche Strategien, die Leser an sich zu binden, finden wir hier?
Das ist eine komplexe Frage. Viele Fans hatten aus sich heraus ein Interesse, die Buchversion der ehemaligen Fanfiction zu lesen, um zu vergleichen, wie sich der Text geändert hat. Interessanterweise gibt es auch viele Leser, die zuerst „Fifty Shades of Grey“ gelesen haben und sich dann auf die Suche nach den Fanfictiontexten der Autorin gemacht haben. Autoren, die als Fanfictionschreibende beginnen, übernehmen häufig Kommunikationsstrategien, zum Beispiel über Social Media Kanäle oder aus dem Fandom. Zwischen einzelnen Veröffentlichungen der Romanserien werden dort Inhalte diskutiert und der Schreibvorgang kommuniziert. Dieser Kontakt bindet Leser, und das funktioniert auch sehr gut auf dem regulären Buchmarkt.

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