Herr Maier, Autobiographisches Erzählen ist derzeit groß in Mode. Sie gelten auch als jemand, der autobiographisch schreibt. – Was heißt das für Sie?   
Die Autobiographie im klassischen Sinn ist eine Selbstäußerung, eine Selbstmitteilung über das eigene Leben. Das hieße dann, dass ich den Lesern erzähle: Wer bin ich? Wo komme ich her? Damit die einen Hintergrund haben, vor dem sie meine Romane lesen können. Ich bin aber der Ansicht, dass es beim autobiographischen Schreiben seit den 1970er Jahren, beispielsweise bei Peter Kurzeck oder Arnold Stadler, nicht um Selbstmitteilung geht. Wir suchen vielmehr nach einem Weg abseits des fiktionalen Schreibens, dass ja heute wieder sehr stark durch konventionelle Erzählmuster geprägt ist. Über das autobiographische Schreiben versuchen wir, näher an die Literatur heranzukommen.  

Wer beim Erzählen aus dem eigenen Leben schöpft, der muss keine Handlung erfinden. Ist autobiographisches Schreiben einfacher als fiktionales?
Beim fiktionalen Schreiben tappt man erst einmal in einer größeren Leere. Aber die kann man dann auch mit zum Teil einfachen Mitteln füllen. Autobiographisches Schreiben heißt, sich zunächst von dem frei zu schaufeln, was man sich selbst schon 100-mal erzählt hat. Denn das allein ist ja noch nicht literaturtauglich. Literatur entsteht erst durch die Arbeit auf dem Papier. Was schließlich dabei herauskommt, ist – zumindest bei mir – nicht die Erzählung des eigenen Lebens, auch wenn es auf jeden so wirkt.

Wann haben Sie beschlossen, autobiografisch zu schreiben?
Das war ziemlich genau am 2. April 2008 um 00:01 Uhr morgens. Ich habe in dieser Minute meinen letzten fiktionalen Roman „Sanssouci“ fertig geschrieben. Gegen 12 Uhr nachts näherte ich mich dem Schluss der ersten Fassung, und ich finde man sollte einen Roman nicht am 1. April beenden. Als ich den letzten Satz um eine Minute nach Mitternacht geschrieben hatte, bin ich wie ein Besinnungsloser durch den Raum gelaufen und habe gerufen: „Nie mehr Handlung!“

Warum wollten Sie keine Handlung mehr?
Ich war nie ein guter Handlungskonstrukteur. Vielleicht fehlt mir dafür die innere Distanz, die Fähigkeit, die Sätze stehen zu lassen. Ich mag es, die Dinge immer wieder kaputt zu machen. Damals, als ich an meinem letzten fiktionalen Roman schrieb, hatte ich nebenher bereits eine andere Form, einen anderen Stil entwickelt. Darauf bin ich dann völlig umgeschwenkt und bis heute sehr froh damit.

Aus dem eigenen Leben zu erzählen oder zumindest diesen Anschein zu erwecken, macht den Autor auch angreifbar, oder?
Das hat zwei Seiten. Es kann einen auch schützen, sich angreifbar zu machen. Ich habe in alle meine Bücher Schutzmechanismen eingebaut. Das ist etwas, was man sich bei jedem Schreiben wieder neu erarbeiten muss – und es ist existentiell wichtig.

Erkennen sich Menschen wieder, die in ihren autobiographischen Büchern vorkommen?
Es passiert mir häufig, dass Menschen auf mich zukommen und behaupten, sie hätten sich wiedererkannt. Aber oft sind das Personen, an die ich bei der entsprechenden Figur niemals gedacht habe. Dann gibt es natürlich die Figuren, die tatsächlich als Personen existieren und die auch damit leben können, dass sie in meinen Büchern vorkommen. Das ist zu einem Grundbestandteil meiner Literatur geworden, daraus entsteht eine eigene Geschichte neben dem Text. Meine Bücher finden nicht nur in den Büchern statt, sondern sind im Umkehrschluss auch wieder zu einem Stück Realität geworden. Das mag ich sehr.  

Ihr autobiographischer Romanzyklus soll elf Teile umfassen. Warum nicht neun oder zwölf?   
Ich habe damals, als mir die Idee zu dem Projekt kam, einfach alle Titel aufgeschrieben und anschließend durchgezählt. Da waren es eben elf. Das war Zufall, eine Schnapsidee, aber es gibt mir ein Schema, an das ich mich halten kann. Und – das ist vielleicht ein bisschen ironisch: Menschen wie ich, die einen leichten Hang zu einem gewissen Autismus haben, die halten sich gern an etwas fest. Die nehmen sich gern ihre Freiheit im Voraus weg, um dann ihren Plan abzuarbeiten. – Auch wenn der Plan nur auf einem Zufall basiert.

Kennen Sie schon den Inhalt der Bücher, die noch folgen werden?
Nein, überhaupt nicht. Die Titel belasten mich eher. Das Buch, an dem ich gerade schreibe, heißt „Die Universität“. Und dieser Titel scheint mir etwas vorzugeben, was mir irgendwie nicht behagt. Bei den elf Büchern sehe ich einen Setzkasten vor mir: Jetzt sind fünf Kästchen voll, sechs weitere muss ich noch füllen – und dann ist es auch gut.

Das vollständige Interview kann man hier als Podcast nachhören.

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