Die literarische Agentur Alexander Simon besteht seit 1999 am deutschen Markt. Gründer und Inhaber Alexander Simon über die Aufgabe von Agenturen, den deutschen Buch- und Verlegermarkt und die Zukunft des Buches.


Wie sieht der Tag eines Literaturagenten aus? Sie stehen morgens um acht auf und gehen ins Büro, sitzen bis 19 Uhr da und machen was?
Jedenfalls lese ich in der Regel nicht. Ich bin in Treffen mit Autoren oder Lektoren, verbringe sehr viel Zeit am Telefon, enorm viel Zeit mit E-Mails oder Besprechungen. Die Lektüre kommt abends.

Telefonieren mit Lektoren, ob das Manuskript schon geprüft wurde?
Alles mögliche. Die Romane noch mal durchsprechen, die dramaturgischen Fallen oder Klippen, die Figuren, die Stringenz. Wenn ein Autor sich darüber beklagt, dass es beim Verlag nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat oder wie es besprochen war, mit dem Verlag darüber sprechen.

Sie arbeiten direkt mit Autoren an den Texten?
Ja, ich selbst leider nicht mehr so viel wie früher, aber meine Kolleginnen verbringen damit noch einen ganz wesentlichen Teil ihrer Zeit.

Das machen aber nicht alle Agenturen.
Deswegen haben wir auch eine dickere Personaldecke. Verlage freuen sich, wenn die Romane in gutem Zustand bei ihnen ankommen. Obwohl es uns auch nicht anders geht als einem Lektor. Wenn wir Texte bekommen, die ganz vielversprechend sind, aber dann sehen, dass auf 400 Seiten wirklich jede Seite auseinandergenommen werden muss, dann sage ich: Nein, das können wir nicht leisten.

Was ist in Ihrem Beruf der beste Fall und was der worst case?
Der beste Fall ist, dass es eine langlebige Verbindung zwischen Autor und Agentur gibt, die unglaublich produktiv auf beiden Seiten verläuft, mit relativ wenig Nerverei verbunden ist und dafür unglaubliche Umsätze generiert (lacht). Der worst case: Es ist sehr viel Arbeit, man stellt nach geraumer Zeit fest, dass man nicht so richtig miteinander klarkommt, und das Buch wird ein Flop.

Was heißt: nicht gut miteinander klarkommen? Persönlich oder geschäftlich?
Zunächst einmal auf der persönlichen Ebene, denn man sitzt ja im gleichen Boot. Entweder beide sind erfolgreich oder beide sind erfolglos. Ich glaube, wenn man so eng zusammenarbeitet, vor allem bei der Belletristik, ist das schon etwas sehr Persönliches, und dementsprechend muss auch die persönliche Chemie stimmen.

Ein Agent bekommt den klassischen Satz von 15 % von allen Einnahmen. Was tun Sie dafür für die Autoren?
Wir machen den Text und das Expose so weit tauglich, dass die Verlage auch wirklich bereit sind, sich damit zu befassen. Wir handeln die Verträge aus, wir überwachen die Einhaltung der Verträge, soweit wir das können. Doch ab einem gewissen Punkt können auch wir nichts mehr machen, das heißt, für Agenten gibt es eine Grenze, über die sie nicht hinauskommen. Wir sitzen nicht in den Verlagen, wir sitzen nicht in den Markting- oder Vertriebskonferenzen, wir sitzen auch nicht auf dem Schoß des Verlegers oder des Pressesprechers. Verträge abzuschließen ist eine Sache, dafür zu sorgen, dass sie auch eingehalten werden, eine andere. Die Verlage haben alle Möglichkeiten, Verträge zu umgehen, und diese Umgehungsversuche sind nicht justiziabel. Das ist ja auch ein positives Moment in unserem Geschäft, dass man nicht dauernd vor Gericht steht. Man einigt sich meistens anders, aber es gibt durchaus Frustrationsmomente, etwa wenn man sieht, dass der Verlag nicht das umsetzt, was eigentlich vereinbart war und was uns viel Arbeit gekostet hat.

Zum Beispiel die Platzierung in der Vorschau?
Das ist ja noch harmlos. Schlimmer wird es, wenn die Einordnung des Romans nicht vorgenommen wird, wie eigentlich vereinbart. Auf einmal wird Literatur als historischer Roman oder Genre verkauft. Man muss der Fairness halber sagen, dass sich die Verlage wiederum mit dem Vertrieb und dem Buchhandel auseinandersetzen müssen. Der Buchhandel will Kategorisierungen, er muss wissen, wo er es hinlegt. Es gab einen Fall, wo ich in Buchhandlungen nach einem von mir vermittelten Roman gesucht habe, und das Buch stand regelmäßig zwischen den historischen Romanen. Jeder potenzielle Buchkäufer, der zu diesem Tisch geht, erwartet etwas Bestimmtes, und wenn er dieses Buch gekauft hat, wird er enttäuscht gewesen sein.

Wo sehen Sie heute noch Nischen für Autoren? Wenn ein Autor fragt: Was soll ich schreiben, was würden Sie ihm raten?

Schwierige Frage. Das hängt davon ab, erstens: Was will der Autor, zweitens: Was kann der Autor? Es gibt keine Nischen, die auf jeden Fall funktionieren. Es gibt relativ krisenfeste Genres, wie den Krimi, der hat bisher noch jede Mode überlebt. Beim Historischen Roman bröckelt es allmählich, und in der Literatur kann man das nie vorhersagen. Es ist ganz oft so, dass man von Büchern, von denen man denkt, die werden ganz groß, enttäuscht wird, und Bücher, von denen man hofft, dass sie ganz anständig laufen, überraschen dann. Wir hatten zum Beispiel vorletztes Jahr ein Buch über den Wesensgehalt von Streichquartetten. Da dachte ich: Wundschönes Buch, aber wenn wir davon 3.000 Stück verkaufen, können wir feiern. Wir sind jetzt bei 12.000 und es werden Jahr für Jahr mehr. Das war ein Fall von optimaler Zusammenarbeit.

Und im Sachbuch?
Ja, die Frage nach Tendenzen ist viel mehr eine Frage des Sachbuchmarktes. Die Tendenz geht weg vom Ratgeber, dank des Internets. Obwohl es auch hier Verlage gibt, die immer noch gute Zahlen erzielen, aber das Gros der Verlage klagt. Ebenso bei der Reiseliteratur. Ansonsten gibt es Moden: Aktuell gab es viele Krankheitsgeschichten, dann kamen wieder die Politikermemoiren hoch, obwohl die eigentlich schon totgesagt waren. Dann gibt es denn Single-Markt, die Comedians, die Väter-Bücher, das sind Trends zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Was ganz schwierig geworden ist, ist Außenpolitik. Die Deutschen scheinen sich sehr sicher zu fühlen und meinen, das da draußen geht sie nichts an. Es ist erschreckend, wie wenig Bücher in diesem Bereich gekauft werden, es sei denn, es steht Peter Scholl-Latour drauf. Dann das sogenannte Faction, das erzählende Sachbuch – ein Trend, der seit zehn Jahren anhält und zunimmt. Das ist ja auch eine sehr angenehme Form, über Inhalte informiert zu werden.

Es ist ja fast ein Klischee, dass Agenten immer versuchen, einen möglichst hohen Vorschuss für den Autor rauszuholen. Stimmt das?
Generell kann es nicht das Ziel eines Agenten sein, den höchsten Vorschuss rauszuholen, denn man sollte nicht an dem Ast sägen, auf dem man sitzt. Der Ast heißt Verlage. Wir müssen ja auch sehen, dass unsere Geschäftspartner weiterleben. Ich halte nicht viel davon, Vorschüsse zu erwirtschaften, von denen man selber denkt: Das kriegen die Verlag nie und nimmer wieder rein. Das ist nicht sinnvoll. Es gibt natürlich Fälle, wo mehrere Verlage interessiert sind und es beim Steigern immer weiter und weiter geht. Aber dann sagt man irgendwann: Jetzt ist Schluss, jeder reicht bis morgen 18 Uhr sein Best offer ein. Und wenn die Best offer vorliegen, dann setzen wir uns mit dem Autor oder der Autorin zusammen und besprechen das. Es ist bei weitem nicht so, dass der Autor sich dann immer für den höchsten Vorschuss entscheidet – eher im Gegenteil. Weil es oft gerade die Verlage sind, die eine starke Profilpersönlichkeit haben, die nicht so viel bieten können, aber bei denen sich ein Autor sehr aufgehoben fühlt.

Woher weiß der Agent, wie weit er beim Vorschuss gehen kann?
Darüber tauscht man sich mit dem Lektor aus, je nachdem, wie gut man sich kennt. Wir machen auch Buchkalkulationen und fragen uns: Was ist wahrscheinlich, was ist möglich? Und so kommen wir irgendwann auf einen Wert, der uns realistisch erscheint. Es ist ja noch nie ein Verlag gezwungen worden, einen Vorschuss zu zahlen. Deswegen kann ich die Klage der Verlage, die Vorschüsse seien zu hoch, nicht ernst nehmen. Es gibt unschöne Fälle bei Vermittlungen, gar keine Frage, aber es bleibt ja immer die eigene Entscheidung.

Wie hoch ist die Quote, die sie aus unverlangt eingesandten Manuskripten übernehmen?
Null komma eins. Die Quote ist auch nicht anders als bei Verlagen. Etwa ein Manuskript pro tausend.

Wie kommen Sie sonst an neue Autoren?
Oft über Autoren, die wir schon vertreten, oder Empfehlungen von Verlegern oder Lektoren. Oder es sind Autoren, die schon Verlage haben oder bei anderen Agenturen sind, sich da aber unwohl fühlen. Dann gibt es die Wettbewerbe, Open Mike, Klagenfurt. Das kann ich Autoren immer wieder nur empfehlen: Man sollte sich so viel wie möglich umhören: Was machen andere Autoren, wie machen sie es?

Wie viel Prozent der Autoren, die Sie unter Vertrag haben, bringen Sie unter?

Unterschiedlich. Im Sachbuch sind es praktisch alle, in der Literatur (überlegt lange) vielleicht siebzig Prozent. Es gibt Jahre, wo es mehr sind, manche Jahre weniger.

Ab wann würden Sie sagen, es wird nichts mehr mit einem Manuskript, nach zwei Jahren?
Es gibt Fälle, die sich mal auf ein Jahr oder gar zwei Jahre hinauszögern, aber das sind eher Autoren, die ein extrem komplexes Werk haben, schon bekannt sind, und an die sich die Verlage nicht herantrauen. Bei normalen Manuskripten müsste man es nach einem halben Jahr wissen. Man sollte nie vergessen, dass Autor und Agent immer in einem Boot sitzen. Wenn eine Seite das Gefühl hat, die Zusammenarbeit funktioniert nicht mehr, dann macht es auch keinen Sinn, dass die andere Seite auf dem Vertrag beharrt.

Geht die Tendenz in Deutschland immer mehr zum Agenten, so wie in Amerika, wo fast nichts mehr geht ohne Agenten?

Es ist ja ein großer Irrtum, dass diese Entwicklung in Deutschland neu ist. Im späten 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sehr viele Agenturen, allein in Berlin über 100. In den 30er und 40er Jahren verschwanden sie dann, da 80 Prozent der Agenturen in Berlin jüdisch geprägt waren. Aber es ist trotzdem sicher noch nicht wie in Amerika oder England. Wenn man dort ein Manuskript an einen Verlag schickt, bekommt man das zurück mit der Bemerkung: Such dir doch erst mal einen Agenten. Es gibt in Deutschland immer noch Verleger, die den Agenten für was Böses und Schlechtes halten.

Was ist für den Verleger das Argument, mit einem Agenten zusammenzuarbeiten, statt direkt mit dem Autor?
Der Agent nimmt ihm einiges an Arbeit ab. Der Agent ist ja im Grunde klassisches Outsourcing. In den allermeisten Fällen, in denen dem Autor etwas nicht gefällt oder nicht passt, ruft der nicht zuerst im Verlag an, sondern bei uns. Und wir kommunizieren das dann, wenn nötig, dem Verlag. Hinzu kommt, dass Autoren ja kaum noch ihr Leben lang bei einem Verlag bleiben, die Fluktuation hat sich enorm erhöht.

Sie sind seit 1999 am deutschen Markt, wie hat sich der Buchmarkt seither verändert?
Zunächst mal hat er sich gesundgeschrumpft. Um die Jahrtausendwende wurden ja unglaubliche Vorschüsse gezahlt, die überhaupt nicht realisierbar waren. Das hat eine ganze Menge Arbeitsplätze gekostet und viel Zuverlässigkeit, aber mittlerweile ist man wieder bei einem gesunden Maß angekommen. Was man generell sagen kann: Es ist für deutschsprachige Literatur nicht einfacher geworden. Wir hatten in Deutschland ganz lange ein gesundes Mittelfeld, das heißt Bücher, die sich fünf- bis achttausend Mal verkauft haben. Dieses Mittelfeld hatten die Angelsachsen auch mal, bei denen ist es schon seit langem weggebrochen. In England verkauft man 500 Bücher oder 50.000. Diese Tendenz zeichnet sich hier auch ab. Das erschwert natürlich die Arbeit auf dem Markt. Die Umsätze gehen ja nicht wesentlich zurück, das Problem ist, dass sich dieser Umsatz auf immer weniger Titel beschränkt. Das heißt, in der Spitze werden die Auflagen sehr viel höher, und unten sacken sie enorm ab.

Führt diese Entwicklung letztlich zu einer Auflösung der klassischen Verlagsstrukturen? Autoren nehmen sich einen Lektor, einen Agenten, ein Pressebüro. Braucht man noch Verlage in der heutigen Form?
Das Verlagswesen verändert sich natürlich aufgrund der Digitalisierung und der neuen Marketingmöglichkeiten dramatisch. Wenn man heute einen Verlag aufmacht und das ganze über digitale Herstellungsmodelle laufen lässt, dann braucht man nicht mehr Millionen. Einen Verlag zu gründen ist sehr viel billiger geworden. Aber ob deswegen der Verlag traditionell ausgedient hat? Ich glaube, es wird Alternativen zu dem klassischen Verlag geben, aber ich glaube nicht, dass er in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren verschwindet. Aber das wird entscheidend vom Lesepublikum abhängen, ob es weiterhin Leser gibt, die erwarten, dass die Bücher, die sie kaufen, ordentlich bearbeitet und lektoriert sind. Wenn dieses Publikum verschwindet, dann braucht man auch keinen Verlag mehr. Aber das wird alles nicht so schnell passieren, wie es viele behaupten. Das Buch wurde schon so oft totgesagt. Ich kann mich noch gut erinnern, Mitte der 90er Jahre, als die CD-Rom aufkam, hieß es auch schon mal, das Buch hat sein Leben ausgehaucht. Die Prognosen der großen Konzerne für das E-Book liegen bei zehn Prozent Marktanteil in zehn Jahren. Das halte ich für realistisch. Man sieht es gut am Hörbuch. Es gibt überhaupt keinen Grund, noch ein Hörbuch physisch zu erwerben, denn die meisten Hörbuchhörer kommen nach Hause, legen es ein, laden es auf ihren MP3-Player runter. Warum kaufen sie sich noch den physischen Datenträger? Die Downloads beim Hörbuch machen inzwischen etwa drei Prozent aus, das ist keine überzeugende Menge dafür, dass man das Physische viel weniger nötig hat als beim Buch. Das Buch wird sicherlich neue Konkurrenten bekommen, es hat schon gelitten unter dem Internet, es wird weiterleiden, aber deswegen wird es noch lange nicht verschwinden. Vorausgesetzt, das Leseverhalten verändert sich nicht noch drastischer, als es ohnehin schon getan hat.

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