Trotz (oder gerade wegen) des „weiten Weges“, den der 65-jährige Robert Schindel in seinem Leben gegangen ist, wirkt der Autor voller Energie und Lebenslust, als wir uns in den niederösterreichischen Bergen treffen. Als eine „Bewegung hin zum Lachen“ bezeichnet er es selbst. Der Lyriker, Autor und Regisseur Robert Schindel wurde am 4. April 1944 als Sohn jüdischer Eltern geboren. Seine Eltern wurden vier Monate nach seiner Geburt von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Schindels Vater starb im KZ Dachau. Schindel ist als Lyriker wie Prosaautor gleichermaßen bekannt und geehrt, von ihm erschienen bei Suhrkamp zuletzt die Gedichtbände „Wundwurzel“, „Mein mausklickendes Saeculum“ sowie der Roman „Gebürtig“.


Sie sind jetzt 65. Wenn Sie die Bewegung als Autor in Ihrem Leben betrachten, von wo nach wo geht die?
Es ist eine immer stärkere Selbsterklärung, ein immer stärkeres und immer intensiveres Auseinandersetzen damit, wie man selber in der Zeit und zur Zeit steht, wie einen die Zeit prägt und wie man versucht, selber die Zeit zu prägen.

Gibt es da eine Form von Abnutzung, etwa bei den Themen?
Natürlich ändern sich Themen, aber abnutzen? Das müssen andere entscheiden. Es gibt viele Schriftsteller, die der Auffassung sind, dass ihr letztes Buch das beste ist, das stimmt sehr oft nicht. Aber das müssen, wie gesagt, andere beurteilen. Ich selber habe oft das Gefühl, dass meine Entwicklung zwar zickzackartig, aber trotzdem in eine ganz bestimmte Richtung geht, nämlich die, mich mit dem Tatbestand meiner Existenz zu versöhnen, das heißt, einen Modus Vivendi zu finden zwischen den Konflikten, die ich mit mir und der Welt verspüre, und einer Lebensfreude, einer Freude, dass ich da bin und vielleicht auch das eine oder andere zu sagen habe.

Gelingt diese Versöhnung?
Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg. Ich hatte eine sehr schwierige Kindheit und eine hundsquälende Jugend. Von daher bin ich einen weiten Weg gegangen und bin von Bitternis weit entfernt. Ich gehe eher in Richtung Lachen.

Wenn man Sie über Texte reden hört, spürt man, dass Sie einen sehr eigenen Zugang haben, einen analytisch-hermeneutischen. Wie nehmen Sie Texte wahr?
Das ist ganz verschieden, wenn ich zum Beispiel in einer Schreibwerkstatt auf Texte zugreife, dann bin ich vorsichtiger, weil der Autor ja daneben sitzt, dann sage ich Dinge, mit denen er auf jeden Fall etwas anfangen kann. Wenn ich ein Buch lese, steigen mir manchmal auch unsachliche oder boshafte Gedanken hoch, und beides hat seine Berechtigung. Ich kann mich unglaublich ärgern über Banalitäten. Oft habe ich das Gefühl, dass die Autoren es eigentlich besser können, aber was immer sie schreiben, wird veröffentlicht. Aber ich kann auch über einen Text glücklich sein und ich kenne viele, die das können. Das ist das Herrliche an der Literatur. In einer Zeit, in der man sich eigentlich über die falschen Sachen freut – in dieser Konsumgesellschaft – ist die Literatur eine restlose Ausschöpfung seiner Lebensgeister. Es gibt nichts Schöneres, als sich mit guten Texten auseinanderzusetzen. Außer vielleicht noch eine wunderbare Musik, an die man nicht analytisch herangeht, sondern bei der man sich ganz den Seelenklängen hingeben kann.

Roland Barthes hat einmal gesagt, er sei umgeben von Sendern. Die Leute wollen senden, sie wollen schreiben, sie messen ihrem eigenen Output Bedeutung zu. Mündet das nicht in einen Relativismus, in dem alles aneinander untergeht?
Der Relativismus wird selbst relativiert durch die Nachhaltigkeit bestimmter Texte, durch das, was bleibt. Das können wir nicht beurteilen, aber wie in allen Epochen der Literatur, wird wenig übrig bleiben von dem, was die Leute schreiben. Es gibt ja das Bonmot, dass mehr Leute Gedichte schreiben, als sie zu lesen. Das würde die Sender-Theorie bestätigen. Aber man kann in diesem Leben Blöderes machen, als Gedichte zu schreiben. Waffen in die Hand nehmen, Computerspiele spielen, sich niedersaufen. Ich finde, der Versuch, der Welt einen persönlichen Stempel durch Sprache aufzudrücken, ist die schlechteste Sache nicht. Auch wenn viele Dinge künstlerisch gesehen nicht so viel Wert sind, haben sie zum Beispiel therapeutische Kraft. Das Schreiben ist auch eine laute Selbstreflexion, und es ist doch gut, wenn Menschen, die gattungsmäßig zur Selbstreflexion fähig sind, dies auch tun. Das trägt zum Zivilisationsprozess bei.

Nur wollen die meisten natürlich die dazugehörende Öffentlichkeit, und das führt ja zum bekannten Gerangel um die Aufmerksamkeit. Wie nehmen Sie da die Veränderungen im Betrieb wahr?
Es ist natürlich unübersichtlicher geworden. Auch durch die neuen Medien, und es ist ein großes Problem, dass ich zu viele Sachen lesen will. Es gibt ein Überangebot, und man muss scharf schauen, und sich die Parameter selbst suchen: Was liest man jetzt, wo liest man nur quer und was ignoriert man ganz? Vor dem Problem stehen viele. Ich persönlich habe ein gutes Gegengewicht, wenn ich sehe, dass ich in der zeitgenössischen Literatur ersaufe, dann mache ich einen Ausflug in die Klassik oder die Moderne Klassik. Dann lese ich halt wieder Kafka. Einen Tag Kafka lesen und man kriegt den Kopf wieder frei.

Einen Tag Kafka lesen? Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus? Sie sind ein Tausendsassa, arbeiten in verschiedenen Medien, als Autor ist man ja heute sowieso Manager seiner selbst. Wie arbeiten Sie tagtäglich?
Das kommt drauf an. Wenn ich an einem großen Projekt arbeite, einem Theaterstück oder Roman, dann muss ich versuchen, in einen Zeitbürokratismus hineinzukommen. Regelmäßigkeit ist dann bei mir absolut nötig. Gleiche Schreibzeiten, vier-, fünfmal die Woche. Früher hatte ich sehr starke Schreibrituale – im Kaffeehaus, von halb zehn bis eins, und nur, wenn ich nachher keinen Termin hatte. Weil das heute gar nicht mehr geht, bin ich dabei, mich umzupolen und mir an Arthur Schnitzler ein Beispiel zu nehmen, der es geschafft hat, sich auch auf Reisen zurückzuziehen und zu schreiben.

Es gibt jüngere Autoren, die schreiben ihre Romane fast komplett in der Bahn, weil sie soviel unterwegs sind. Wird die Mobilität, das Unterwegssein, dadurch selbst zum Thema?
Natürlich. Aber wenn ich in eine bestimmte Phase des Schreibens trete, an die kontinuierliche Niederschrift, dann muss ich sehr viele Sachen absagen. Das ist zwar auch eine ökonomische Frage, aber dann muss ich einfach eine bestimmte Zeit die Lesungen minimieren. Der Roman „Gebürtig“ war auch so ein Vier-Jahres-Block – nicht Blog, sondern Block (lacht). Das ist nicht einfach. Ich bin einer, der wenig streicht, der sehr viel im Kopf anhäuft und nicht mehr viele Korrekturen macht. Es gibt ja Leute, die schreiben zwölf Entwürfe. Ich bin eher der, der im Kopf akkumuliert und daher brauche ich die Konzentration.

Sie sprechen von Akkumulation im Kopf, ist das beim Lyrik genauso oder kommen Gedichte eher eruptiv, abends bei einem Glas Wein?
Ich fertige im Allgemeinen so etwas wie Worthaufen an. Wie viele Kolleginnen und Kollegen habe ich natürlich mein Notizbuch dabei, in das ich jederzeit Zeilen, Worte, Bruchstücke hineinschreibe. Dann setze ich mich relativ regelmäßig hin und begutachte diese Worthaufen, schreibe etwas dazu, strukturiere, und dann entsteht das eine oder andere Gedicht. Gelegentlich gibt es einen Schreibrausch. Als schlafe es fertig in einem und kommt auf einmal heraus. Das ist ja auch das Wunder des Kreativen Schreibens, unabhängig von dem Ergebnis, dass es einen immer wieder selbst überraschen kann, weil man plötzlich Sachen auf dem Papier hat, an die man überhaupt nie gedacht hat.

Also ist sowohl Lyrik wie Prosa Spracharbeit für Sie?
Ich bemerke keinen Unterschied. Der Unterschied ist nur, dass ich weiß, dass ich bei Prosa einen langen Atem brauche und große Bögen berücksichtigen muss, dass ich in der Prosa von Tageslaunen und Tagesstimmungen nicht so abhängig sein kann. In der Lyrik kann man es sich leisten, Texte so hinzufetzen, weil man sie schnell korrigieren kann. Aber die Arbeit ist im Grunde die gleiche. Denn ich arbeite in der Sprache, nicht mit der Sprache, und vertraue darauf, dass die Sprache mit Zeitgenossenschaft und Wirklichkeit durchtränkt ist. Ich versuche, durch die Sprache, nicht mit der Sprache, an die Gegenstände heranzukommen, die ich behandeln möchte.

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