Die 14 Finalisten für den diesjährigen Bachmann-Wettbewerb stehen fest. Eine von ihnen ist die in St. Petersburg geborene und in Wien lebende Julya Rabinowich, deren Roman „Herznovelle“ gerade im Deuticke Verlag erschienen ist. Im Interview spricht die sympathische und exzentrische Powerfrau über Geld, Neid unter Kollegen, die neue Öffentlichkeit als Autorin und ihre schrecklichste Lesung.

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(Foto: privat)

Wann hast du angefangen zu schreiben?
Ich schreibe seit meinem sechsten Lebensjahr. Dabei sind ungefähr zwei unlesbare, entsetzliche Romane über Drachen entstanden. Meine arme Großmutter musste sie sich jeden Abend anhören. Im Nachhinein tut sie mir wirklich leid. Doch das hatte den Vorteil, dass ich im Lesen recht geübt war, als ich mit „Herznovelle“ fertig war und mit Lesungen begonnen habe.

Wie war der plötzliche Eintritt in den Literaturbetrieb für dich?
Ich hab mich als Stein empfunden, der in ein Fenster geworfen wird, und zwar ein geschlossenes. Ich hatte das Gefühl, ich bin irgendwie, ohne es zu wollen, geworfen worden und habe damit eine gläserne Decke gesprengt. Ich hab keine Ahnung, wie meine Werdegang geworden wäre, wenn ich den Rauriser Literaturpreis nicht bekommen hätte. Ich nehme an, dass es langsamer und sicherlich nicht so rasch gegangen wäre, da ich länger in der Schublade der Migranten-Literatur geblieben wäre – trotz tapferer Gegenwehr. Der Rauriser Literaturpreis hat mich quasi von den Niederungen der Migranten-Literatur gereinigt. Bei der Rede zur Preisverleihung habe ich mich allerdings vor einigen schwer blamiert, und andere wiederum sehr amüsiert, weil ich schon von meiner Kindheit an feierliche Anlässe nicht ernst nehme. Es haben sich viele darüber unterhalten und gelacht, aber sie wurde nicht veröffentlicht.

Du schreibst auch Auftragswerke?
Es ist die Perversität meines Lebens, dass ich durch Geldgier genötigt werde, irgendwelche Texte abzugeben, weil ich einfach dies und jenes haben möchte und kein Geld dafür habe. Also schreibe ich Auftragstexte.

Zum Beispiel?
Eine Rezension oder auch Artikel für Zeitungen. Ich hab mehrere Theaterstücke als Auftragswerke bekommen. So bin ich überhaupt an mein erstes Theaterstück rangekommen, worüber ich verdammt froh bin, weil ich von alleine vermutlich gar nicht auf die Idee gekommen wäre, ein Theaterstück zu schreiben. Ich sehe das als eine Inspirationsquelle, das ist ein Input. Ich denke mir: Okay, da gibt jemand einen Impuls, und ich gehe diesem Impuls nach. Das ist nicht anders als ein Computerspiel, und ich spiele sehr gern Computer. Da kriegt man auch verschiedene Quests und sollte möglichst alle erledigt haben, wenn man gut abschneiden möchte.

Was sagst du Autoren, die vom Schreiben leben wollen?
Verabschiedet euch von teuren Wohnungen, Autos und großen Reisen! Dann geht das. Oder man hat Glück, aber das ist halt immer die Frage, ob man das Glück hat, und das hat nicht immer mit Qualität zu tun.

Aber kann man sagen, dass du jetzt vom Schreiben leben kannst?
Ja, seit einem Jahr schon. Eindeutig und ausschließlich. Ich hab davor doch immer wieder, um die Fixkosten sicher zu haben, gedolmetscht. Dreimal in der Woche oder zum Schluss zweimal. Das wurde dann immer weniger. Wobei ich auch sagen muss: Da meine Eltern beide Künstler waren, und ich von klein auf gewohnt war, zu verzichten, bin ich durchaus bereit, das weiter zu betreiben, solange ich meine Fetzen kaufen kann. Das ist das Einzige. Also, wenn das ausbleibt, dann geht’s nicht! Aber sonst, ganz ehrlich, das Auto fehlt mir nicht, Führerschein habe ich keinen, ich komme also nicht einmal in Versuchung. Es geht natürlich auch, dass man wenige Stunden arbeitet, die einen stützen, und dann nebenher schreibt. Auch das hat bei mir relativ lange funktioniert. Es hat nur aus einem bestimmten Grund nicht mehr geklappt. Diese Arbeit mit den Flüchtlingen hat mich so belastet, dass diese zehn, fünfzehn Stunden im Endeffekt zwanzig Stunden Regeneration gebraucht haben, bevor ich schreiben konnte. Es flutet einen ab einem gewissen Pegel.

Und jetzt bist du damit konfrontiert, dass dich andere Sachen vom Schreiben abhalten, also Lesereisen.
Lesereisen – oder kleine Skandale, große Skandale, liebe Kollegen, nicht so liebe Kollegen, alles mögliche.

Ist das auch eine Art Abhärtungsprozess?
Ja, natürlich. Jedes Mal, wenn ich eine Kritik aufschlage, habe ich Herzklopfen, zum Beispiel. Und das war früher nicht so. Ich hab mich gefreut, wenn es welche gegeben hat, aber ich war mehr überrascht, dass es welche gegeben hat. Und jetzt war es schon so, dass ich bereits mit einem gewissen Schrecken oder eine Starre öffne, weil man es unter anderem auch von Kollegen weiß, was für wirklich fiese, böse Dinge drin stehen können. Und da muss man sich abhärten. Das darf einen nicht umwerfen. Es gibt auch sehr viel Neid unter uns Autoren. Ich bin davor genauso nicht gefeit. Ich spüre es genauso an mir und merke es an anderen. Das ist etwas, was die dunkle Seite unseres Berufes ist.

Das ist ja eine Erfahrung, die man erst dann macht, wenn die Sachen öffentlich sind: dass einfach alle über die Texte reden.
Schön wär's ja, wenn sie nur über meine Texte geredet hätten. Ich habe zwei, drei Interviews beim „Standard“ gehabt und danach gab es ungefähr hundert Beiträge von randalierenden Forumtrolls. Dabei gingen sicher zwanzig Beiträge nur um mein Aussehen – der Rest um meine Herkunft, und dass ich mich quasi nach Russland schleichen soll und mich dort für die Menschenrechte einsetzen. So bin ich dann dort gesessen und hab mir gedacht: Okay, schlimmer als eine böse Kritik kann nichts sein. Doch das ist noch ärger.

Es geht also nicht nur um die Texte, sondern auch um einen als Person?
Es ist nicht mehr zu trennen. Andererseits, es gibt Kollegen, die das Gegenteil davon betreiben, die trennen ganz strikt die Texte von sich. Es gibt die öffentliche Version der Texte und es gibt das Private, das keiner mitkriegt. Ich hab's nicht einmal probiert, für mich war irgendwie klar, dass ich und der Text ein und dasselbe sind. Ich hab das nie getrennt, mit dem Effekt natürlich, dass die Watschen, die ich für den Text abkriege, ich persönlich kriege bzw. die Watschen, die ich persönlich kriege, ich über den Text abkriege. So das geht hin und her.

Es kommt natürlich auch immer darauf an, wie man damit umgeht.
Also, ich bin durchaus bereit, eine Kunstfigur zu bilden. Das ist kein Problem. Alles ist öffentlich, immer. Ich stelle mich ganz bereitwillig als Kunstfigur hin, aber meine Tochter niemals. Was sich jetzt ändert, weil sie fürchterlich sauer ist, dass sie nicht auf dem Foto drauf ist. Jetzt ist sie fünfzehn, jetzt kann sie damit schon umgehen. Aber davor war für mich völlig klar: Ich erwähne sie nicht, ich zeige sie nicht. Ich führe sie nicht vor, wenn in der Wohnung gedreht wird.

Wie gehen Sie mit verschiedenen Impulsen beim Lektorat um? Der eine Kollege sagt das, der Lektor das Gegenteil – muss man da immer auf einen vertrauen?
Das bringt mich jetzt in eine Zwickmühle! Ich muss ganz ehrlich sagen: Mein erstes Buch, den Spaltkopf, habe ich so, wie er jetzt ist, gegen den Willen meiner damaligen Lektorin durchgebracht. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre diese Buch eine stronznormale Familiengeschichte geworden, ohne eine tiefere Ebene. Und ich würde sagen, damit hätte ich weder den Rauriser Literaturpreis gekriegt, noch so eine Aufmerksamkeit, da bin ich ziemlich sicher. Bei anderen Dingen hatte sie aber wiederum recht, wo sie gemeint hat, das ist kitschig, das ist übertrieben, das kann man streichen. Es ist so ein Hineinspüren, was für mich stimmt. Es liegt im Endeffekt immer im Ermessen des Autors, eine Art Vertrauen, wohin die Geschichte zwingend führen soll.

Aber ohne Kritik gibt es keine Weiterentwicklung.
Ja, genau. Man darf sich nicht gekränkt fühlen, denn sehr oft ist diese Kritik wichtig und richtig. Ich hab eine Freundin, die nimmt so derartig überhaupt keine negativen Rückmeldungen an, dass ich das Gefühl hab, die stagniert jetzt sicher seit zwei Jahren. Man braucht ein Gegenüber, jeder Mensch braucht für alles, was er tut, ein Gegenüber, eine Spiegelung. Ich vertraue dann in solchen Fällen möglichst auf mein Gefühl, wer für mich jetzt die wichtigere Auskunftsperson ist, wem ich mehr Kompetenz zutraue. Wenn das zwei gleichwertige Personen sind, wird es schwierig. Aber es ist doch so, dass Menschen oft mehr oder weniger Ahnung von Literatur haben.

Wie schreibst du? Regelmäßig, nicht so regelmäßig?
Das ist bei mir wahnsinnig unterschiedlich. Ich ermüde sehr schnell. Es gibt Leute, die von der Zeit wesentlich langfristiger arbeiten können, stundenlang. Bei mir geht das mal zwei Stunden und dann ist es vorbei. Und ich kann auch nie mehr als zwei Seiten schreiben, dann muss ich Pause machen und am nächsten Tag weiter tun. Es geht kontinuierlich, aber es geht nicht besonders lang. Es gibt sicher Kollegen, die an einem Tag dreißig Seiten schreiben, dann wieder lang Pause machen. Ich arbeite lieber flächig. An der Herznovelle habe ich wirklich fast jeden Tag gearbeitet, gerne in der Früh und gerne in der Nacht. Beim Spaltkopf war das völlig anders. Der Spaltkopf hat doch wahnsinnig lang gedauert, vier Jahre, weil ich hundert Seiten weggeschmissen hab, weil ich irgendwann mal festgestellt hab, ich bin völlig falsch abgebogen und muss zurück.
Abgesehen davon hab ich in der Zeit Vollzeit gearbeitet, hatte ein noch kleines Kind. Ich hätte es nicht lange auf diese Art und Weise fortführen können. Es hätte mich sehr erschöpft, wenn ich das zweite Buch in der gleichen Konstellation geschrieben hätte. Das heißt, der Spaltkopf ist zitzerlweise entstanden, dafür hatte ich aber wesentlich weniger Lesungen.

Lesungen sind doch aber das angenehmere Übel, oder?

Ja, wobei die Reisen auch sehr erschöpfen. So inspirierend sie auch sind. Nach einiger Zeit kommt man in eine gewisse Zerfledderung hinein, wenn man immer wieder reisen muss, immer wieder sich selbst entwurzelt und dann wieder zurückkommt. Andere Leute reisen gern, ich hab eine Reiseangst. Ich hatte extreme Flugangst. Und bin nach London per Landweg gefahren, mit dem Schiff, was fürchterlich teuer und irrsinnig umständlich gewesen ist, und dann habe ich eine Einladung nach New York zu einem Literaturfestival gekriegt. Da habe ich gewusst: Okay, meine Reiseangst wird getoppt, ich soll auch noch fliegen. Aber ich war so gierig auf dieses Festival, dass ich mir gedacht hab, ich flieg jetzt dahin! Und seitdem hab ich dann auch wirklich wieder begonnen zu fliegen. Beim letzten Flug nach Darmstadt bin ich ohnmächtig geworden.

Das war aber nicht nur das Flugzeug.
Nein, nein. Da haben wir uns mit Austern vergiftet. Das war unglaublich. Der Veranstalter ist ein hervorragender, einer der nettesten, liebsten, interessantesten und bewandertsten Veranstalter, die ich bis jetzt kennengelernt hab, ein Pfarrer, der in seiner Kirche immer Literaturlesungen veranstaltet hat. Am Abend vor meiner Lesung haben wir uns Austern schmecken lassen. Und dann in der Früh war uns schon ein bisschen schlecht, mir und der Verlegerin, aber wir haben uns das gegenseitig nicht gesagt und gedacht: Irgendeine Magenverstimmung oder so. Und dann kommen wir in die Kirche, es sind über zweihundert Leute da, alles voll und ich merke, mir ist wirklich komisch, ganz, ganz eigenartig. Ich musste nicht nur lesen, sondern am Altar sitzen, ich kann unmöglich neben diesen Altar kotzen. Es war wirklich furchtbar. Und dann kam dieser Pfarrer auch ganz grün, aber das ist mir in meinem Zustand natürlich nicht aufgefallen, und hat auch irgendwie sehr farbig eröffnet, wie mir schien. Dann wollte ich lesen, und mein Mikrofon ging nicht, weil er es falsch verkabelt hatte in seiner Not, und er hat in die Sakristei laufen müssen, um ein neues Mikrofon zu holen, hat seines aber nicht abgedreht. Dann hat man gehört, wie er gestöhnt hat, durch die ganze Kirche, und dann mit einer ganz elenden Stimme: Oh, mein Gott! Und dann saß ich dort, hab noch gelesen, und noch die Bücher signiert und bin erst dann aufs Klo gelaufen. Na ja, man funktioniert dann! Ich hab ein paarmal geschluckt und dann weiter gelesen. Es war furchtbar.

So schön sind Lesereisen.
Es ist ja auch wirklich eine sehr lustige Erfahrung. Es ist schon toll, was da entstehen kann.

Ein letzter Tipp für Autoren?
Ich würde sagen: Einfach nie hinterfragen, warum man das jetzt tut, weil, sobald man das macht, beginnt man schon zu stolpern. Ich glaube, das, was raus muss, kommt auf alle Fälle raus. Das ist wie bei einer Eiterbeule. Es kommt drauf an, ob es sehr weh tut oder nicht. Bei mir ist es so. Was soll ich denn machen?


http://www.julya-rabinowich.com/
http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-552-06158-3

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