Was ist das eigentlich, literarisch?
Wenn klar wäre, was literarisch ist, dann bräuchte es das Feuilleton und die Literaturkritik nicht. Das Literarische ist ein umkämpfter, gesuchter Begriff.

Was könnten die Mittel sein, die einem auch handwerklich nutzen?

Versuchen wir mal zu sammeln: Der Vergleich, ein Bild, eine Metapher. Der Satzbau, eine Form der Rhythmisierung von Sprache, oder gar, auf der Wortebene, eine Verklanglichung der Sprache. Die Form der Beschreibung der Welt. Das ist für mich wichtig, wie sich eine Welt konstituiert, wie sie beschrieben wird, und sei es auch nur das Wasserglas. Wenn ich sage: „Martin trinkt Wasser aus seinem Glas“, dann ist das Glas völlig selbstverständlich, nebenbei eingeschliffen in einen Handlungsvorgang, während man auch eine ganz andere Eloge, auch in der Prosa, auf dieses Glas singen könnte. Wie es da steht, wie sich der Tisch in ihm bricht. Wenn es darum geht, dass man sich etwas imaginieren kann über einen sprachlichen Hinweis, dann muss die Sprache selbst noch nicht bildhaft sein. Ich könnte ganz trocken diesen Raum beschreiben und müsste die Sprache noch nicht rhythmisieren. Wenn das Glas wichtig ist, wenn es eine Funktion hat, dann beschreibe ich auch die Form, und wenn es keine Rolle spielt dann kommt eben nur: „Er trank einen Schluck Wasser“.

Wie ist es mit der Perspektive? Die bewegt einen Text ja auch sprachlich. Texte in der Ich-Form verlangen einen anderen Ton als die distanziertere Darstellung.
Ja. Das ist ein besonderer Punkt: Von wo aus wird ein Text überhaupt erzählt, mit welcher Haltung? Und die Stimmfarben: Ist es ein ironischer Text? Oder ist es ein Monolog? Dann ist die Frage, wie spricht dieser Mensch? Wenn jemand „Ich“ sagt, dann muss diese Person eine gewisse Art des Sprechens haben, die sie charakterisiert. Dazu zählt auch das Register, aus dem die Worte kommen, also aus welchem Berufsleben, oder welcher Umgangssprache.

Ein literarisches Mittel des Erzählens ist es doch auch, wenn etwas nicht erzählt wird, wenn es Lücken gibt oder Brüche, die mir aber die Möglichkeit geben, sie auszufüllen.
Damit sind wir schon auf der weit weg gezoomten Ebene des Aufbaus, der Organisation des gesamten Stoffes. In Jenny Erpenbecks Buch „Heimsuchung“ wird sehr bedrückend vom Sterben eines Kindes erzählt, das, als die Nazis kommen, eingeschlossen ist, dann entdeckt und erschossen wird. Dieses Sterben wird erzählt, indem dauernd andere Sachen nebenher erzählt werden, was eine unglaubliche Härte erzeugt – die Handlung wird organisiert durch starke Brüche.

Inwieweit kann man solche Dinge lernen?
Angenommen, wir trainieren gute Metaphern oder Beschreibungen, wir wissen, wie man Texte gegeneinander schneidet, dann hat man ein gewisses Handwerkszeug. Ich würde aber sagen, das nützt einem erst einmal überhaupt nichts. Man hat dann eine gewisse Fertigkeit, die aber auch zu einer völligen Überfrachtung des Textes führen kann. Wenn man denkt: Aha, ich beherrsche alle möglichen literarischen Verfahrensweisen und damit statte ich jetzt meinen Text aus – dann würde ich sagen, da kommt etwas ganz Schreckliches heraus, ein Monster an literarischer Fertigkeit. Wichtig ist, was man mit dem Text will, was der Text selbst vorlegt. Was man sich vornimmt mit der Geschichte, die man erzählen will, könnte einen zu bestimmten literarischen Verfahrensweisen führen. Man muss sich überlegen, welche Form von literarischen Mitteln zu dem Text passen oder wohin der Text selbst reift, wenn man ihn möglichst gut nach seinen Potenzialen befragt.

Es geht also nicht darum, dass ich einen Stil habe, sondern eher darum auszuloten, welche literarischen Mittel zu meinem Text passen?
Es geht um die maximale Ausbildung der literarischen Stimme. Ich würde sagen, ein Text wird dann schlecht, wenn man sich zu viel vornimmt, wenn man versucht, etwas, was der Text selbst nicht leistet, was die eigene Idee nicht leistet, was vielleicht auch das eigene Talent nicht leistet, sich durch Metaphern oder eine elaborierte Konstruktion einzukaufen. Der Text selbst muss dahin führen, mit literarischer Sensibilität.

Ist es so, dass ein literarischer Text eher im formalen, sprachlichen Bereich arbeitet, ein Unterhaltungstext sich hingegen eher auf der Plotebene bewegt? Ist das keine Kunst?
Das klingt ein bisschen moralisch, aber es gibt natürlich Genres – Krimi, Frauenroman oder historischer Roman. Etwas ist umso mehr Genre, je mehr es sich auf gewisse Muster verlässt. Wenn ein Autor mit einer Wahnsinnsgeschichte sich möglichst wenig auf vorgegebene Muster verlässt, ist das für mich literarisch. Das gilt aber ebenso für literarische Techniken des Understatements, das heißt, wenn in einer ganz normalen Formgestalt, in normalen Sätzen, plötzlich ein irritierendes Moment oder ein anrührendes Bild aufscheint. Das ist tatsächlich ein sehr schwieriger Vorgang, eine gewisse Durchschnittlichkeit, Banalität, Normalität in einen Roman zu bringen, ohne ihn zu überfrachten und ohne dabei nur dokumentarisch zu sein oder langweilig.

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