In welchem Bereich liegen die Schwerpunkte des Klett-Cotta-Verlags, wodurch definiert sich der Verlag?
Klett-Cotta ist nicht nur ein Literatur- und Sachbuch-Publikumsverlag, sondern hat auch einen großen Bereich psychologischer Fachliteratur. Wir verlegen traditionell Fantasy, sind seit 1972 der Verlag von Tolkien, haben aber auch Autoren wie Tad Williams oder Neil Gaiman im Programm, also die ganz Großen der literarischen Fantasy. Der Bereich Literatur teilt sich bei näherem Hinsehen in zwei Programmbereiche, die durch eine Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre entstanden sind: Mit Klett-Cotta versuchen wir, ein sehr hochliterarisches, fast klassisches Literaturprogramm zu machen, mehrheitlich zeitgenössische Literatur mit ausgeprägter Backlist, darunter viele Klassikerausgaben von Gottfried Benn, Stefan George, Möricke, Lehmann, Ernst Jünger. Zum anderen gibt es den Programmbereich Tropen, der aus einem Berliner Kleinverlag hervorgegangen und etwas jünger ist, etwas urbaner, hipper und agiler, das sieht man auch an den Covern. Wenn man diese beiden Programmbereiche nebeneinander stellt, hat man ein Spektrum an Literatur, welches tatsächlich stärker in die Breite geht als manch andere Programme.

Wie hoch ist der Anteil an Debüts?
Das ist schwer zu quantifizieren. Wir haben relativ überschaubare Programme, ein Herbst- und ein Frühjahrsprogramm, mit jeweils etwa vier bis fünf Novitäten; im kommenden Programm gibt es drei Debüts, allerdings alles Übersetzungen, aus dem Amerikanischen, Niederländischen und Argentinischen.

Wie hoch wäre die Chance für einen deutschsprachigen Debütanten, bei euch unterzukommen?
Wenn er oder sie gut ist, enorm hoch. Wir sind in der Tat – auch wenn das kein sonderlich originelles Alleinstellungsmerkmal ist – auf der Suche nach starken Debüts. Das ist ein unbedingtes Interesse; zum einen, weil wir deutsche Literatur mögen, zum anderen, weil es vieles erleichtert, auch in der Vermittlung der Texte. Ein deutscher Autor kann Lesungen geben, er kennt Land und Leute und das ist völlig anders, als wenn man mit unbekannten ausländischen Debütanten antreten würde.

Was muss so ein Debüt für dich haben, damit du sagst, das verlegen wir? Denn jedes Debüt ist ja eine Investition.
Absolut. Ich glaube, das erklärt auch, warum viele Verlage versuchen, die Anzahl an Debüts pro Programm eher klein zu halten. Ein Debüt ist immer erklärungsbedürftig. Natürlich ist es ein Pfund, mit dem man wuchern kann, „die große Neuentdeckung“, aber es ist immer leichter, mit schon etablierten, eingeführten Autoren in der Vermittlung zu arbeiten.

Was macht ein gutes Debüt aus?
Das ist die Frage: Was macht einen guten Text aus? Was aber noch hinzukommt, ist die Hoffnung, dass ein Debüt schon Potenzial für eine Werkentwicklung zeigt. Das ist etwas, worauf wir sehr stark achten, dass jemand wirklich als Autor eine Verheißung über das einzelne Buch hinaus hat.

Geht die Auswahl über das Thema oder stärker über die Geschichte oder die Sprache? Es gibt ja literarische Verlage, die eher sprach- und weniger plotorientiert sind. Andere gehen eher in die Richtung literarische Unterhaltung, denen ist die Geschichte wichtiger.
Reine Plotorientierung spielt eigentlich keine Rolle, eher noch bei Tropen. Wir machen dort zwar Krimis, aber keine Mainstream-Krimis, sondern Bücher, die etwas Besonderes haben, irgendein Cutting Edge, im Falle der Krimis etwas Drastisches. Zum Beispiel Roger Smiths „Blutiges Erwachen“, das ist ein unglaublich harter, drastischer Krimi. Der Charme an diesem Buch ist aber, dass es das gegenwärtige Südafrika aufschließt – politisch und soziologisch. Es ist also immer wichtig, dass es noch einen Mehrwert über das rein Plothafte hinaus gibt. Ansonsten, da wir uns als sehr literarisches Haus verstehen, ist natürlich die Sprachlichkeit, der Stil, die Literarizität ein wichtiges Merkmal. Hinzu kommt – und das ist von außen häufig nicht leicht nachzuvollziehen –, dass wir eigentlich nie einzelne Bücher, sondern immer komplette Programme machen. Die sind sehr sorgfältig komponiert und austariert. Das führt dann dazu, dass man, überspitzt gesagt, nicht sechs deutschsprachige Debüts in einem Programm hat, sondern man sehr unterschiedliche Positionen zu markieren versucht. Im kommenden Programm haben wir ein amerikanisches Debüt, wir haben eine deutschsprachige Autorin, eine Schweizerin mit ihrem dritten Buch, wir haben einen Argentinier zum Buchmesseschwerpunkt, und wir haben ein Buch, das eher in Richtung literarische Unterhaltung oder gute literarische Humoristik geht. Das ist ein Verhältnis, das wir als gelungen und rund empfinden. In diese Gefüge, die wir planen, muss ein Text, den wir suchen, exakt hineinpassen.

Das ist wahrscheinlich das Moment von Glück, von dem immer wieder die Rede ist: Man sucht etwas bestimmtes, und das muss genau in dieses Programm passen.
Das mag sich sehr entmutigend anhören – auch wenn es das nicht immer ist –, aber wir haben manchmal einen extrem schmalen Suchfokus. Konkret suche ich jetzt zum Beispiel für das Herbstprogramm 2011 einen Krimi, vorzugsweise von einem polnischen jungen Autor oder einer Autorin, der an deutsch-polnischen Grenze spielt. Das hört sich grotesk an, ich überspitze das ein bisschen, aber im Grunde genommen wird auf diese Weise gesucht. Es stimmt, natürlich sucht man gute Bücher, aber niemals in dieser diffusen Allgemeinheit, und das schließt eben sehr Vieles aus. Wenn Agenturen oder Autoren, die nicht in Agenturen vertreten sind, Bücher einschicken und diese zurückkommen, hat das meistens überhaupt nichts mit der Qualität des Textes zu tun.

Wenn das Werk-Potenzial eines Debütanten eine Rolle spielt, heißt das dann, dass ein Debütant mit 65 keine Chance mehr hat, weil er vielleicht nur noch 15 Jahre schreiben kann?
Nein, das glaube ich nicht. Ich will das überhaupt nicht diskreditieren, aber ich bekomme relativ viele Texte von jungen Autoren, die eine erstaunliche Reife zeigen, aber andererseits ist völlig klar, dass die über ihr selbst gelebtes Leben hinaus überhaupt keine literarisch vermittelnswerte Erfahrung haben. Es gibt viele One-Hit-Wonder. Mit Debütanten meine ich auch Leute, die erst mit 43 einsteigen, da herrscht kein Jugendwahn. Man muss ja auch die Demografie aus Verlagssicht betrachten, unser Zielpublikum sind nicht die 18- bis 23-Jährigen, die in Berlin wohnen und die Lebensbefindlichkeiten anderer 18- bis 23-jähriger Berliner nachvollziehen, sondern jedes Programm zielt in die Mitte der Gesellschaft. Unsere Leserinnen sind vor allem weiblich und weitaus älter als 18 bis 23, und die interessieren sich vielleicht eher für Lebenserfahrung und Lebenswirklichkeit, die der eigenen verwandter ist.

Gerade fiel schon das Stichwort Literaturagentur. Wie kommt ein Text konkret zu dir auf den Schreibtisch –  zwischen unverlangt eingesandt, Agentur, Empfehlung von Autoren oder Anderen?
Auf genau diesen drei Kanälen. Wir bekommen pro Tag so etwa zehn unverlangt eingesandte Manuskripte in der Belletristik. Wir haben unsere Anforderungen und Ausschlusskriterien relativ akkurat auf unserer Website aufgelistet, da hält sich erstaunlicherweise kein Mensch dran, was die Arbeit nicht erleichtert. Wir schauen uns alles an, alles wird geprüft. Der Anspruch ist, das innerhalb von zwei Monaten zu tun, das schaffen wir in der Regel auch. Ausschlusskriterien wären zum Beispiel, dass wir im Moment keine Lyrik veröffentlichen, keine Memoiren oder Genre-Romane. Aus Verlagssicht ist es völlig unökonomisch und ineffizient, diese unverlangt eingesandten Manuskripte zu lesen. Die Arbeit, die das macht, rechtfertigt in keinster Weise den Umstand, dass man irgendwann mal, als flankierende Story zu einer Neuerscheinung, erzählen kann, dass der Verlag ein unverlangt eingesandtes Manuskript ganz groß gemacht hat. Das kommt kaum vor. Man prüft es trotzdem, und es ist manchmal nicht ganz klar, warum. Wir können nicht zu jedem Projekt, das eingesandt wird, persönlich Stellung beziehen, was oft zu gewissen Aversionen auf Seiten derer, die diese Texte eingesandt haben, führt. Empfehlungen von anderen Autoren, das kommt immer mal vor. Autoren sind starke Referenzen, die wir sehr ernst nehmen. Aber ich glaube, am wichtigsten für uns, auch, was deutschsprachige Literatur anbelangt, sind in der Tat Literaturagenturen, die sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren flächendeckend etabliert haben – eine Entwicklung, die ich sehr begrüße, weil sie eine Art Vor-Filterfunktion haben. Bei Texten, die von literarischen Agenturen kommen, kann man in der Regel davon ausgehen, dass sie plausibel sind, dass sich die Zeit lohnt, sie zu prüfen. Zu guter Letzt hilft es natürlich auch, das Verhältnis zwischen dem Autor und dem Verlag zu versachlichen. Ich möchte nicht ein halbes Jahr lang mit Autoren über Geld verhandeln in dem gemeinsamen Gefühl, dass jeder zu kurz gekommen ist, um dann mit einem Ressentiment an einem Text arbeiten zu müssen.

Kann man als Agent da überhaupt so viel machen, in der Regel handelt es sich ja um Standardverträge. Man kann die Staffel ein bisschen ändern, hier und da ein kleines Prozent herausschlagen ...
Beim Garantiehonorar hat man schon viel Spielraum, aber es geht da ja nicht nur um so ein bisschen Geld und um gewisse Nachverhandlungen bei den Staffelhonoraren, sondern es geht auch um Platzierungsfragen, also wo im Programm der Titel steht. Ist das ein Spitzentitel, auf den dann wesentliche Ressourcen, Marketing, Presse usw. fokussiert werden, oder ist es ein Titel, der eher weiter hinten steht, bei dem der Verlag hofft, dass er sich aus sich selbst heraus behaupten wird.

Wie verändert sich der Buchmarkt in letzter Zeit? Man hört immer wieder, dass der Mittelbau wegbricht, dass die Auflagen entweder sehr klein oder sehr groß sind.
Auf die Branche bezogen, ja, bei uns nicht. Wir haben erfreulicherweise Ausreißer nach oben, wir haben ein relativ starkes Mittelfeld und wir haben ein paar Bücher mit kleinerer Auflage. Aber das ist tatsächlich wider den Branchentrend, denn wie sich im Handel, aber auch in der Struktur, in der Programm- und Auflagenpolitik der Verlage zeigt, gibt es zwei Tendenzen: Zum einen eine Konzentrationsbewegung. Die Großen werden größer, und die Verlage sind in einem aberwitzigen Ausmaß vom Gelingen eines einzelnen Buches abhängig. Aber wenn so ein Erfolg zwei Jahre ausbleibt, hat man ein Riesenproblem, weil man so sehr auf solche Mischkalkulationen oder Quersubventionen angewiesen ist, dass ein Buch sehr erfolgreich muss. Die zweite Entwicklung, die in Deutschland politisch durch den besonderen Mehrwertsteuersatz  und die Buchpreisbindung gewollt ist, liegt darin, dass wir eine agile und intakte Kleinverlagsszene haben. Das sind natürlich oft Menschen, die unter Selbstausbeutungsverhältnissen arbeiten, aber die halten sich über Wasser, und die bereichern mit ihren schlanken Apparaten und ihren kleinen Auflagen den Buchmarkt.

Wie läuft denn konkret der Prozess ab – angenommen du entdeckst ein Manuskript – was passiert dann?
Es gibt eine Lektoratskonferenz, die findet institutionalisiert einmal wöchentlich statt, wir sind ja ein relativ kleiner Laden und wir mögen uns auch alle privat gern und sitzen eigentlich ständig beisammen und reden über Bücher. Manchmal kommt es mir wie ein etwas obszönes Glück vor, dass ich dafür bezahlt werde, mit anderen Leuten ganz emphatisch über unsere Leidenschaft zu reden. Das ist eigentlich überhaupt nicht verständlich für mich als Protestant, dass ich dafür auch noch Geld bekomme. (lacht) Wir sind eineinhalb Lektoren und zwei verlegerische Geschäftsführer, und mindestens zwei von uns Vieren müssen ein Buch gelesen und sich in begeisterter Form dazu geäußert haben. Das ist eine erste Hürde. Wir reden dann direkt mit dem Vertrieb und versuchen zusammen zu ermitteln, was das für ein kommerzielles Potential hat. Dann wird das durchgerechnet, wir erstellen eine Kalkulation, das ist ein relativ komplexes Gebilde, denn so ein Verlag hat ja nichts anderes als Bücher, die er verkauft. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, bei denen von vorn herein klar ist, die können die Gewinnschwelle niemals erreichen. Das sind tolle literarische Bücher, aber die sind apriorisch zu einer gewissen Erfolglosigkeit verurteilt, aber – aus Gründen die ökonomisch auch nicht vertretbar sind – wir hängen dran, und es ist vielleicht auch Teil des Programmprofils, der Markenführung. In der Regel aber will man schon einen prognostischen Wert: Was wird das Buch erlösen?

Gibt es Themen, die momentan in der Belletristik „in“ sind oder es zu werden versprechen?
Wenn du sie kennst, sag mir Bescheid, das wüsste ich auch gern (lacht). Ich habe den Eindruck, es gibt immer Mikrotrends. Jemand landet einen großen Erfolg, und dann gibt es einen Nachahmungseffekt. Henning Mankell zum Beispiel, der lag irgendwie rum, keiner wusste was mit dem anzufangen, und dann hat sich eine Hanser-Lektorin gegen sehr viele Widerstände im eigenen Haus durchgesetzt, und wider Erwarten wurde das ein sehr, sehr großer Erfolg. Mankell hat dann eine Schleuse geöffnet, was dazu führt, dass man, wenn man heute als Vertreter unterwegs ist und das Wort „skandinavischer Krimi“ in den Mund nimmt, ozeanische Gefühle, umfänglich positive Assoziationen beim Buchhändler erntet. Ich glaube tatsächlich, Krimis aus nordischen Ländern sind fortgesetzt sehr gefragt. Kehlmann hat einen Erfolg gehabt mit „Die Vermessung der Welt“, dann schien plötzlich dieses inkriminierte Genre von historischen Romanen rehabilitiert. Charlotte Roche hat einen großen Erfolg gehabt mit „Feuchtgebiete“, dann gab es sehr exzessiv-extrovertierte Literatur von jungen Frauen. Ich wäre aber jetzt nicht in der Lage, punktgenau zu sagen, was gerade in ist. Das ist ja der Reiz und der Fluch an der ganzen Sache, dass wir es erst hinterher wissen. Oft redet man aber auch über feuilletonistische Konjunkturen. Wenn die drei Romane zu einem Thema sehen, dann stehen die gleich symptomatisch für die Lage, dann hat der Artikel eine andere Relevanz als die Besprechung eines Einzelvorkommens.

Wie sollte die Ansprache eines Autors aussehen, um einen Verlag zu finden. Gibt es Do’s and Dont’s?
Es ist, wie gesagt, schon sehr viel geholfen, wenn das, was als Vorgabe oder als Wunsch auf der Website steht, beherzigt wird. Ich glaube nicht nur, dass das uns viel Arbeit erspart, sondern den Autorinnen und Autoren auch viel unnötige Hoffnung und womöglich Frustration. Also: sehr genau gucken, wo man etwas hinschickt. Die Programmvorschauen der Verlage findet man auf jeder Website als PDF. Ansonsten lebt das Ganze von einem stimmigen Exposé und einem aussagekräftigen Textauszug. Das Entscheidende ist wirklich die Evidenz des Textes. Ich bin überdies sehr dankbar, wenn Aspiranten mit ihrer Selbstbeschreibung nicht so sehr über die Stränge schlagen. Das hat man ja manchmal, dass da 15 joviale Seiten kommen voller Selbstironie und Seitenhiebe und Häme – durchaus brillant, aber das nervt. Und man will auch keine Kritik der Branchengepflogenheiten und der Marktförmigkeit von Literatur. Das weiß man alles selbst, das muss man nicht noch einmal lesen. Kurz und prägnant und mit einer guten Textprobe, das ist der Königsweg.

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