Julius Katins

Autor
Shortlist bei der autoren@narrativa 2024

Julius Katins: An einem Dienstagnachmittag im Spätherbst, als es eben zu dunkeln begann

Kapitel 1

Es ist nicht lange her, da wohnte in einem unweit entfernten Dorf ein Mann, der sich unterschied, und der am Ende wie am Anfang sich fragte, wie es nur seinem Vater gelungen war, täglich an ebenderselben Stelle, an der er zuvor noch gegessen hatte, in sein Mittagschläfchen zu fallen, und daraus nicht ehe, aber auch nicht nachdem die folgende Viertelstunde vergangen war, zu erwachen.

Nie hatte ihn jemand geweckt. Es gab kein Geräusch, das zu der immer gleichen Uhrzeit erklang, wie etwa das Rattern des Autos vom Herrn Schuldirektor Knölle, mit dem dieser aber grundsätzlich zwei Stunden später an ihrem Haus vorbei fuhr, oder das Grölen, der paar Kneipengänger, die auf ihren Heimwegen jeden Abend auch durch ihre Straße am Rande des Dorfes bogen, das allerdings zu einer deutlich späteren Uhrzeit -, nein, eine derartige Erklärung hatte es eben nie gegeben, warum sein Vater jeden Mittag in der exakt perfekten Sekunde wieder die Augen öffnete, als sei ihm ein Zauber entwichen.

Wie war es ihm also gelungen?, fragte sich Wilhelm Behler an einem Dienstagnachmittag im Spätherbst, als es eben zu dunkeln begann, während er den kühlen Lauf an der Schläfe spürte und überlegte, ob er abdrücken soll.

Das heißt, eigentlich überlegte er nicht wirklich – er dachte ja an seinen Vater und das Beisammensitzen - viel mehr wartete er auf den richtigen Moment. Den Moment, in dem ihm endlich der notwendige Mut widerfahren würde, den Zeigefinger noch ein wenig mehr zu krümmen, eine winzige, aber entscheidende, letzte Bewegung.

Es passt doch zu deiner Familie, sagte er sich, als er in seinem Sessel saß, und durch die gläserne Schiebetür hinausstarrte - hinaus auf die frisch geschnittenen Rosenbeete, in denen wie immer die Furchen der Harke klafften, hinaus auf das Gartenvlies und den Mulchsack, die noch davor lagen, auf seinem Rasen, der wie immer in den Spuren des Mähers stand, und aus dem die Eiche wuchs, welche nur die Linden und Buchen überragten, die nach der Buchsbaumhecke und dem Gartenzaun den Beginn des an sein Grundstück grenzenden Waldes bildeten. Da sagte er sich: Es ist doch für dich sogar vorbestimmt.

Oder erinnerst du dich, wie es war? Damals, noch vor dem frühen Tod deines Bruders, der das Schicksal für euch alle geebnet hatte. Sag, erinnerst du dich?

Nein, nach all den Jahren konnte er die Bilder höchstens erahnen, sah sie unerreichbar verschwommen, wie durch das Spinnenpapier eines Fotobuches. Und bloß eine Szene blieb klar.

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