Direkt aus dem eigenen Leben: So schreibe ich ein Memoir

Die eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben, ist gar nicht so leicht. Oft klingt der Text eher nach Lebenslauf als nach großer Literatur. Eine besondere Form für die eigene, persönliche Geschichte bietet das Memoir.

In einer Autobiografie legt die schreibende Person dar, wie sie zu jenem Menschen geworden ist, der sie ist. Das Memoir ist eine Weiterentwicklung dieses Genres: Als literarische Form in der Sachliteratur erlaubt ein Memoir, persönliche Erfahrungen zu einem bestimmten Thema oder Lebensabschnitt zu verarbeiten. Wer schreibt, leistet Erinnerungs- und Biografiearbeit. Er oder sie kann einen neuen Blick auf die eigene Geschichte gewinnen – und damit sich selbst als Heldin oder Held der eigenen Geschichte begreifen. Der Ich-Erzähler wird zu einer Figur mit Entwicklung, Konflikten, Rückschlägen und Wachstum.
Einer der ersten großen Bestseller dieses Genres ist Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody, der dramatische Erfahrungsbericht einer Mutter über ihre Flucht aus dem Iran. Seither sind unterschiedliche Memoirs erschienen: Geschichten von bewältigten Krankheiten, über Missbrauch, von Sektenaussteigern, über psychische Erkrankungen, Selbstverwirklichung, außergewöhnliche Reisen oder Berufserfahrungen.


Der rote Faden: das eigene Leben 

Wie ein Roman, so folgt auch ein Memoir einer Storyline: mit Spannungsbogen, Wendepunkten, emotionaler Tiefe. Der rote Faden ist das eigene Leben. Um Spannung zu erzeugen, kann das Prinzip der Heldenreise helfen und die Erzählung strukturieren: von der Diagnose zur Krise, durch Rückschläge zur Hoffnung, bis hin zur Akzeptanz oder gar dem ausgesprochenen Willen zu leben. Der Ich-Erzähler durchläuft eine Entwicklung und lässt seine Leserschaft am Innenleben teilhaben – indem er es beschreibt und vor allem, indem er es zeigt. An dieser Stelle kommt das Prinzip «Show don’t tell» zum Tragen. Es reicht zum Beispiel nicht, festzustellen: «Ich hatte Angst.» Die Emotion sollte ausformuliert werden: Jemand sieht keinen Ausweg mehr, hat schlaflose Nächte, einen Kloß im Hals. Je präziser eine Emotion beschrieben wird, desto besser gelingt es, eine spezielle Ausdrucksweise als Autorin oder Autor zu finden. So entwickelt sich der eigene Ton, der sowohl die Spannung als auch die Literarizität des Textes erhöht.


Der Stoff: die eigenen Erinnerungen

Ein Memoir wird immer in der ersten Person Singular geschrieben – «Ich» ist die Perspektive. In der Regel ist der Autor mit dem Ich-Erzähler identisch. Der Stoff sind die eigenen Erinnerungen.  Und diese sind bekanntlich brüchig, subjektiv, lückenhaft und unzuverlässig. Im Schreibprozess sollte man sich dessen bewusst sein, ohne sich zu sehr davon verunsichern zu lassen.
Es kann ein Memoir bereichern, in Archiven zu recherchieren, Tagebücher und Briefe zu studieren und Fakten zu klären. Der Austausch mit vertrauten Wegbegleitern kann helfen, Erinnerungen abzugleichen und neue Perspektiven zu eröffnen. Das Memoir lebt aber vor allem von eigenen Erinnerungen, und den damit verbundenen Gefühlen, die berechtigt und wahrhaftig sind.


Die Figuren: Gegenspieler und Förderer

Die Figuren im Memoir haben jeweils eine bestimmte Rolle, durch die sie die Entwicklung der Hauptfigur unterstützen oder untergaben.  Das können Eltern, Freunde, Partner oder Widersacher sein. Mehrere reale Personen können zu einer literarischen Figur verdichtet werden – erlaubt ist, was dem Lesefluss dient und im Sinne der Geschichte vertretbar bleibt. Denn wer über reale Menschen schreibt, trägt Verantwortung. Deshalb spielen Persönlichkeitsrechte beim Verfassen eines Memoirs eine besondere Rolle. Pseudonymisieren, das Einverständnis beschriebener Personen einholen oder sensible Details verfremden, sind dabei wichtige Werkzeuge.


«Für wen schreibe ich?»

Der Wunsch, die eigene Geschichte aufzuschreiben, kann auch dem Bedürfnis entspringen, anderen mit ähnlichen Erfahrungen beizustehen. Durch das Teilen persönlicher Erinnerungen entsteht für die Lesenden die Möglichkeit einer Co-Erfahrung, die verbindet und Verständnis schafft. «Für wen schreibe ich?», kann daher eine leitende Frage im Schreibprozess sein. Eine klare Zielgruppe hilft, sich nicht zu verlieren, und gibt dem Text Richtung und Fokus.

Die besten Geschichten schreibt das Leben – so abgedroschen dieser Satz auch klingen mag. Und jede Heldenreise beginnt genau hier: mit dem ersten Satz.

(Ariane Novel)

Ariane Novel

Ariane Novel wurde 1984 in der Nähe von Zürich geboren. Sie studierte Komparatistik und Romanistik in Berlin, München und Montpellier. Nach ihrem Volontariat arbeitete sie über zehn Jahre als Sachbuchlektorin, unter anderem bei Droemer Knaur und der Münchner Verlagsgruppe. Anfang 2022 machte sie sich als freie Lektorin, Ghostwriterin und …
Mehr erfahren

Erfahre du es zuerst. News, die dich voranbringen, dich inspirieren und motivieren, Last-Minute-Angebote und vieles mehr in unserem monatlichen Newsletter.

Diese Kurse könnten dich interessieren


AGB Datenschutz Impressum und Kontakt
Instagram YouTube Phone