Agnes Brunner

Im Lektorat sterben oft noch Figuren


C.H.Beck-Lektorin Agnes Brunner mag es, wenn möglichst genau davon erzählt wird, wie rein gar nichts passiert. Im Interview spricht sie über die besten Wege, Manuskripte zu entdecken und warum sie den Textanfang meistens vor dem Exposé liest.



Agnes Brunner, wie viele Manuskripte landen auf Ihrem Schreibtisch – und aus wie vielen wird schließlich ein Buch?  

In einer Woche sind es drei, in einer anderen zwölf. Das hängt auch vom Monat ab; ist zum Beispiel gerade Buchmesse, dann häufen sich zu Zusendungen. Jährlich ist das dann wohl eine Zahl im dreistelligen Bereich. Im C.H.Beck Literaturprogramm veröffentlichen wir circa 20 Titel im Jahr; das ist also die Anzahl der Manuskripte, aus denen bei uns ein Buch wird.

Woher kommen die Manuskripte? 
Überwiegend von Agenturen. Das hat den Vorteil, dass die Texte schon durch einen ersten Filter gelaufen sind und wir nur das zugeschickt bekommen, was theoretisch in unser Programm passt. Die meisten unserer Akquisen kommen auch so zustande. Der Nachteil ist, dass man sich auch immer sofort in einer Konkurrenzsituation befindet, denn die Agenturen verschicken natürlich breit. Ab und an werden uns auch Romanmanuskripte von anderen Autorinnen und Autoren empfohlen, das führt immer mal wieder zu einer Veröffentlichung. Andere Wege sind Literaturfestivals oder -wettbewerbe, wie die Tage der deutschsprachigen Literatur oder der Open Mike. Bei solchen Anlässen kann man die Leute dann einfach direkt ansprechen, das ist die schönere Art des Kennenlernens als über die Vita in einem Exposé. Dass ein unaufgefordert eingesandtes Manuskript verlegt wurde, habe ich bislang noch nicht erlebt, soll es aber mal gegeben haben. 

Lesen Sie zuerst das Exposé oder den Text? 
Ich lese meistens den Anfang des Manuskripts und dann das Exposé. Wenn beim Einstieg in den Roman irgendwas klickt, kann ich das Exposé besser verkraften, denn da wird einem natürlich immer der nächste Kehlmann versprochen. Aber so funktioniert verkaufen vermutlich überall.

Was ist wichtig, wenn man Ihnen ein Manuskript anbietet? 
Sich über das Programm des Verlags zu informieren. Uns werden oft Kinderbücher, Fantasy oder andere Genreromane angeboten, die verlegen wir aber bei C.H.Beck gar nicht. Hybris im Anschreiben empfinde ich eher als abschreckend. Was eindrucksvoller ist: Wenn jemand den eigenen Roman gut zusammenfassen kann – das ist gar nicht so selbstverständlich und auch nicht immer ganz einfach. Da merkt man viel über den Umgang mit Sprache, den Blick auf bestimmte Themen, aber vor allem, was jemandem am eigenen Text besonders wichtig ist. Das muss auch nicht unbedingt ein guter verkäuferischer Pitch sein, sondern ein Gefühl vermitteln.

Was braucht ein Manuskript, damit es bei Ihnen eine Chance hat? 
Ich freue mich eigentlich über jeden Text, der gut geschrieben ist. Die Themen stehen dahinter. Bei mir funktioniert Begeisterung über die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, nicht so sehr über die Geschichte selbst. Wenn möglichst genau davon erzählt wird, wie rein gar nichts passiert, finde ich das genial. Im Verkauf hat es ein Roman mit einem griffigen Plot aber sehr viel leichter.

Wenn Sie einen Autor oder eine Autorin unter Vertrag nehmen, beginnt die Arbeit am Text. Wie viel wird dann noch geändert? 
Im deutschsprachigen Lektorat oft viel, weil die Texte sich noch stärker in der Entwicklung befinden als Übersetzungen, bei denen inhaltlich ja nichts mehr geändert wird. Wenn eine Übersetzung sehr gut ist, geht es nur noch um sprachliche Feinheiten. Im deutschsprachigen Lektorat kann aber eigentlich alles passieren, da sterben oft noch Figuren, Szenen oder ganze Kapitel. Oder man gewichtet anders, weil manches, das stark ist, zu kurz kommt oder andersherum. Die Lektoratsanmerkungen sind Vorschläge, mit denen man auch falsch liegen kann. Die Bereitschaft, diese Vorschläge anzunehmen, ist ganz unterschiedlich. Viele Autorinnen und Autoren schätzen es, ein Gegenüber zu haben, mit dem sie endlich detailliert über den Text sprechen können, nachdem sie lange Zeit mit der Arbeit daran allein waren. Für andere steht bei Abgabe alles nahezu fest, und die kleinsten Änderungsvorschläge ziehen lange Diskussionen nach sich. Da sollte man sich im Lektorat auch nicht zu stark verkämpfen. Ein ehemaliger Kollege hat immer gesagt: Wir operieren nicht am offenen Herzen. Und da hat er zum Glück recht.

Agnes Brunner

Agnes Brunner studierte Germanistik in Bamberg. Nach zweijähriger Station im Hanser Verlag arbeitet sie seit 2019 als Lektorin für Literatur im Verlag C.H.Beck.
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