Morgens muss ich mich erstmal freischreiben
Die Autorin Beatrix Mannel im Gespräch
Die Autorin Beatrix Mannel über Figuren mit Eigenleben, überraschende Plots, schlechte Gedichte und die CIA.
„Fräulein Kiss träumt von der Freiheit“ heißt Ihr Roman, der im April bei Droemer erscheint. Es geht um Spionage und eine Liebesgeschichte in den 1950er Jahren, also zu Beginn des Kalten Krieges. Die meisten Ihrer historischen Romane spielen dagegen um 1900. Wie kam es zu diesem Zeitsprung in die gar nicht so ferne Vergangenheit?
Auf die Idee bin ich durch meine Schwiegereltern gekommen, die beide beim Sender „Radio Freies Europa“ gearbeitet und sich dort kennen gelernt haben. Im Jahr 1956 – da spielt der Roman – hat noch niemand gewusst, dass die CIA den Sender bezahlt. „Radio Freies Europa“ hat von München aus in 22 Ostblockstaaten gesendet – in den jeweiligen Landessprachen. Im Sender arbeiteten Menschen, die von dort geflohen sind und also wussten, worum es geht. Zunächst war die Geschichte als Fernsehserie konzipiert. Als daraus nichts wurde, habe ich mich entschlossen, aus dem Stoff einen Roman zu machen. Dafür musste ich die acht für die Serie entwickelten Hauptfiguren auf zwei reduzieren, was mir ganz schön schwer gefallen ist.
Im Mittelpunkt stehen die junge Deutschungarin Elisabeth Kiss und ihr Chef Béla. Gibt es da biografische Ähnlichkeiten zu Ihren Schwiegereltern?
Meine Schwiegermutter wurde in Ungarn geboren, deren Mutter Elisabeth wiederum hat sehr darunter gelitten, dass ihre Geschwister nicht aus Ungarn fliehen konnten. Ich mochte Elisabeth sehr gern. Das hat sich ganz sicher auf meine Heldin ausgewirkt, die sich ja um ihre Schwester zu retten auf diesen Deal einlässt. Aber natürlich hat keiner aus der Familie je als Spion gearbeitet. Die tatsächliche Geschichte meiner Schwiegereltern ist für einen Roman eher untauglich: Sie haben sich beim Sender kennen und lieben gelernt, haben geheiratet und Kinder bekommen. Das ist dramaturgisch nicht besonders ergiebig.
Wie haben Sie für den Roman recherchiert?
Ich habe mit ehemaligen Kollegen meiner Schwiegereltern gesprochen, und natürlich verschiedene Bücher und Publikationen gelesen und ich war auch in Ungarn, um vor Ort zu recherchieren. Das Museum „House of Terror“ in Budapest hat mich unglaublich berührt und tief beeindruckt. Auch einige Akten des Senders aus der damaligen Zeit konnte ich einsehen und war überrascht, welche Informationen da gesammelt wurden. Es gab zum Beispiel Witze, die Informanten in Ungarn auf der Straße gehört haben, und die dann für den Sender protokolliert wurden. Das finde ich schon absurd. Aber der Sender wollte für die Menschen hinter dem „Eisernen Vorhang“ natürlich glaubwürdig sein. Und da gehören die Witze des jeweiligen Landes eben auch dazu.
Neben Romanen für Erwachsene schreiben Sie Kinder- und Jugendbücher, insbesondere Thriller für Jugendliche unter Ihrem Pseudonym Beatrix Gurian. Wie ist dieses breite Spektrum entstanden?
Wer als Autorin erfolgreich sein will, sollte möglichst zehn Jahre lang das Gleiche schreiben, um sich eine Fangemeinde zu erarbeiten, also zum Beispiel bei Romanen bleiben, die sich historisch um 1900 bewegen, mit variierenden Themen, aber in einem ähnlichen Stil. Allerdings langweilt mich das schrecklich! Ich finde es viel spannender, mich immer wieder neu in Genres und Zeiten hinein zu denken. Manche Stoffe und Themen entwickeln sich auch erst während der Recherche in eine überraschende Richtung. Ich merke immer wieder, wie sich die verschiedenen Romane gegenseitig befruchten und mich auf neue interessante Ideen bringen.
Für die Textmanufaktur geben Sie Seminare und betreuen als Lektorin Fernstudenten und -studentinnen. Da lesen Sie die Texte anderer, analysieren und geben Tipps. Funkt Ihnen dieser kritische Blick auch beim eigenen Schreiben dazwischen?
Ja, ganz extrem, und es wird immer stärker! Also, ich lektoriere gern und liebe es Workshops und Seminare zu geben. Denn es macht mir sehr viel Spaß, andere dabei zu unterstützen, aus ihrer zuerst noch so kleinen Idee einen großen Roman zu entwickeln. Diese Art von Unterstützung hat mir sehr gefehlt, als ich angefangen habe zu schreiben. Aber als Autorin muss ich ganz bewusst diese Schere aus meinen Kopf verbannen und mich morgens zuallererst einmal freischreiben, um in einen Flow zu kommen.
Haben Sie spezielle Tricks, wie Sie in diesen Schreibfluss kommen?
Manchmal, das ist jetzt ein bisschen peinlich, schreibe ich morgens als erstes ein Gedicht. Das würde ich niemals veröffentlichen und auch keinem zeigen, weil es so grottenschlecht ist. Aber frei zu assoziieren, mit Sprache zu spielen und sie anders zu verwenden als im Prosatext, das ist für mich wie ein kleiner Befreiungsschlag. Wann immer es geht, schreibe ich auch Morgenseiten. Das hilft mir besonders, wenn ich an einer problematischen Stelle feststecke. Direkt nach dem Aufwachen setze ich mich dann hin und schreibe mit der Hand drei Seiten, einfach was mir einfällt. Meistens sind das zuerst Gedanken wie „Ich schreibe so schlecht und alles ist so furchtbar banal.“ Auf der dritten Seite kommen dann schon die etwas kreativeren Gedanken. Inzwischen achte ich aber sehr auf die Geschichten, die ich mir selbst erzähle – denn dafür sind ja gerade wir Autoren und Autorinnen extrem empfänglich – und benutze die dritte Seite bewusst dazu, mich zu erinnern, warum ich darauf vertrauen kann, dass es heute ganz wunderbar mit der Geschichte vorangehen wird. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut mir die Morgenseiten helfen, mich selbst in die Gänge zu bringen.
Haben Sie beim Schreiben eine bestimmte Strategie, vielleicht sogar einen Szenenplan?
Mir ist es wichtig, dass sich beim Schreiben Dinge entwickeln können. Ein Szenenplan wäre mir daher zu eng. Weil ich vorher ein sehr ausführliches Exposé schreibe, weiß ich aber schon, wohin die Reise geht und welchen Höhepunkt sie haben wird. Dass Figuren sich oft anders entwickeln, als ich es eigentlich geplant habe, finde ich nur logisch. Und das macht das Schreiben auch so spannend. Von jemandem, dem man im Zug zum ersten Mal gegenübersitzt, weiß man ja auch noch nicht alles. Da ist es wichtig, offen zu sein und genau hinzuhören: Was will die Figur? Das finde ich viel wichtiger als genaue Pläne.
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