Es ist amüsant, ein Klischee auf die Spitze zu treiben

Die Lektorin Bettina Scharp im Gespräch

Die Lektorin und Schreibtrainerin Bettina Scharp schickt Autorinnen und Autoren auf eine etwas andere Heldenreise. Unter dem Motto „The Ladies' Way“ betrachtet sie das bekannte Erzählprinzip aus einer neuen Perspektive und stellt so manches Klischee auf den Kopf.

Zahlreiche Geschichten, vom antiken Mythos bis zum Hollywood-Film folgen dem Grundmuster der Heldenreise. Viele Schreibende nutzen das Modell auch gezielt beim Plotten. Bettina Scharp, in Ihrem Textmanufaktur-Seminar „The Ladies' Way“ geht es stattdessen um die Heldinnenreise. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Heldenreise auf diese Weise neu zu denken?
Ich arbeite sehr gern mit dem Modell, weil es durch seine Struktur viele Möglichkeiten bietet. Die Heldenreise, wie der Mythenforscher Joseph Campell sie beschreibt, besteht aus einer Abfolge von Situationen und Begegnungen: Ein Held zieht aus und muss sich inneren und äußeren Herausforderungen stellen. Allerdings orientiert sich die herkömmliche Heldenreise am altertümlichen Heros und einigen Klischees, die wir heute nicht mehr nötig haben. Daher hatte ich die Idee, das Modell aus einer neuen Perspektive zu betrachten.

Sind Frauen anders unterwegs als Männer?
Weibliche Protagonistinnen haben häufig andere Motive. Um ihre gewohnte Welt zu verlassen, brauchen sie unter Umständen länger. Der „Ruf zum Abenteuer“, wie es im Modell der Heldenreise heißt, ist mitunter ein anderer als beim typischen männlichen Helden. Auch die Ansätze für Problemlösungen unterscheiden sich. Alle Hauptfiguren, ob männlich, weiblich oder divers, haben jedoch ein gemeinsames Ziel: die Suche nach innerer Stärke und dem Elixier, das am Ende jeder Heldinnen- oder Heldenreise steht.

Die weibliche Heldinnenreise – ist das eine neue Idee?
Die Amerikanerinnen Maureen Murdock und Gail Carriger haben sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt und 2020 englischsprachige Literatur dazu veröffentlicht. Darauf bin ich aber erst gestoßen, als ich meinen eigenen Ansatz entwickelt und mein erstes Seminar zu dem Thema gegeben habe.

Die hinterlistige Hexe, die gute Königin oder die unschuldige Jungfrau: Solche Archetypen spielen bei der Heldenreise oft eine Rolle. Gleitet man da nicht sehr leicht in Rollenklischees ab?
Ja, das passiert natürlich. Vor allem, weil diese Archetypen von Männern definiert wurden, zu einer Zeit, in der wir noch stark behavioristisch geforscht haben. Allerdings stehen Archetypen nur symbolisch für die menschlichen Eigenschaften und daher sind sie geschlechterunabhängig. Sie stilisieren und verdeutlichen auf bildhafte Art und Weise unser Verhalten. Um spannende Charaktere zu kreieren, brechen wir am besten mit den Regeln, stellen alles einmal auf den Kopf und schütteln es durch. Nur so kann etwas Neues entstehen.

Kann die Heldinnenreise auch ein Ansatz sein, um Geschlechterklischees zu vermeiden?
Das wäre toll und würde mich sehr freuen. Aber es kann auch sehr amüsant sein, ein Klischee im richtigen Moment auf die Spitze zu treiben. Darüber hinaus gibt es auch biologische Gegebenheiten, die wir nicht umgehen können. In Filmen ist das oft sehr schön zu beobachten: Da schlägt die Frau mit ihren 50 Kilogramm Körpergewicht mehrmals auf den männlichen, doppelt so schweren Gegner ein. Der haut einmal zurück und seine Gegnerin fliegt durch den halben Raum. Das ist kein Klischee, das ist leider die Wahrheit. Hier komme ich nicht drumherum, der Frau andere Waffen in die Hand zu legen, damit sie gewinnt – gerne auch typisch weibliche oder magische Elemente, solange sie glaubwürdig sind.

Warum ist es Ihnen wichtig, Frauen auf ihre eigene, weibliche Reise zu schicken?
Von den Begriffen weibliche und männliche Heldenreise würde ich lieber wegkommen. Vor allem finde ich es wichtig, jede Figur auf eine nachvollziehbare Reise zu schicken, sie dreidimensional zu gestalten und ihr Handeln logisch zu untermauern. Es gibt immer mehr starke und souveräne Frauencharaktere, vor allem in der Fantasy- und Kriminalliteratur. Aber ich stoße auch oft auf weibliche Hauptfiguren, die so zweidimensional durch ihre Geschichten stolpern, dass es unrealistisch wirkt. Dabei können Frauen auch männliche Attribute haben und andersherum. Die männliche Seite der Frauen wird in Genre-Literatur noch viel zu wenig ausgearbeitet. Mit meinem Modell der Heldinnenreise möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass sich Schreibende bewusst mit den Hauptcharakteren auseinandersetzen und sie glaubwürdig und mehrdimensional gestalten.

Bettina Scharp

Bettina Scharp ist ausgebildete Autorin, freie Lektorin und Ghostwriterin, sowie Dozentin für Erwachsenenbildung. Ihren Schwerpunkt hat sie bereits mit der Veröffentlichung ihres ersten Kinderbuches auf das Selfpublishing gelegt. Es folgten eine Kurzgeschichtensammlung und eine Veröffentlichung in einer Anthologie.  Im Verband der freien …
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