Was Sie da schreiben, das hätten Sie vorher nicht gedacht
Die Autorin Claudia Wuttke im Gespräch
Die Autorin Claudia Wuttke über Schreiben ohne Grenzen, kreative Tankstellen, amerikanische Begeisterung und deutsche Skepsis.
Claudia Wuttke, Sie sind Lektorin, Autorin, Agentin, Coach – und Sie arbeiten mit der Methode „Gateless Writing“. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Beim Gateless Writing gibt es ein sogenanntes Prompt. Das kann zum Beispiel ein Lied oder ein Gedicht, ein bestimmtes Thema oder eine Frage sein, die ich in die Gruppe gebe. Dazu schreiben die Teilnehmer 25 bis 30 Minuten lang, ohne irgendwelche Vorgaben. Es geht darum, zu schauen, was kommt und sich dabei freizumachen von blockierenden Gedanken wie: Ist das gut gebaut?, Wie klingt das?, Was werden die anderen dazu sagen? Anschließend liest jeder seinen Text laut vor, und die Gruppe gibt ein Feedback, das bestimmten Regeln folgt und ausschließlich positiv ist. Die Teilnehmer sagen beispielsweise, was ihnen am Text gefallen hat, was ihnen aufgefallen ist oder welche Thematiken sie sehen. Dieses Feedback wird anschließend nicht kommentiert oder diskutiert. Der oder die Schreibende kann davon mitnehmen, was hilfreich und passend erscheint.
Was unterscheidet Gateless Writing von anderen Kreativtechniken?
Die wichtigste Grundlage ist das Vertrauen, das in der Gruppe entsteht. Das ermöglicht es, sich zu öffnen und mit der eigenen Kreativität in Kontakt zu kommen. In so einem geschützten Rahmen entstehen überraschende Texte. Was Sie da schreiben, das hätten sie vorher nicht gedacht. – Das schwöre ich Ihnen.
Gateless Writing kommt aus den USA. Gehen die Amerikaner anders ans Schreiben heran als wir Europäer?
Das Schreibbewusstsein der Deutschen jedenfalls ist echt noch entwicklungsfähig. So wenige Menschen begreifen, dass Schreiben auch eine Arbeit, ein Handwerk ist, das man über weite Strecken erlernen, verfeinern, trainieren kann wie jede Tätigkeit. Dass dazu auch ein gewisses Talent gehört, stimmt schon. Aber Schreiben setzt große Disziplin, Geduld und eben Handwerk voraus – dieses Bewusstsein ist hierzulande nicht sehr verbreitet.
Sie haben die Methode bei Suzanne Kingsbury gelernt, die auf Ihrer Website sehr euphorisch für Gateless Writing wirbt. Auch das ist für uns Deutsche erstmal ungewohnt, oder?
Ja, das stimmt. Als ich mich angemeldet habe, war ich auch zum Teil skeptisch. Suzanne Kingsbury gibt dem Schreiben eine spirituelle Komponente. Es geht viel um Achtsamkeit, um den eigenen Weg, um universale Öffnung. Das ist in Deutschland nicht so verbreitet und war auch für mich neu. Für die erste Schreibübung im Seminar wurde uns ein Lied vorgespielt. Ich habe, obschon das ja alles auf Englisch war, einen Text geschrieben, über den ich nachher selbst gestaunt habe. Zugleich hatte dieser Schreibprozess etwas Reinigendes. Das war eine ganz besondere Erfahrung.
Ist Gateless Writing eher Selbsterfahrung oder eine Technik für Menschen, die professionell schreiben?
Ich glaube, das geht Hand in Hand. Derzeit arbeite ich in Einzelcoachings mit drei Autoren anhand von Gateless Writing. Als Kreativmethode kann es den Impuls geben, ins Schreiben zu kommen. Auch bei einer Schreibblockade eignet es sich. Beispielsweise könnte man fragen: Was hindert dich? Wer oder was ist der Zensor, wie sieht der aus? Darüber kann ich schreiben und schauen, wie sich der Zensor vielleicht umschiffen lässt.
Eignet sich der Ansatz auch zur Textarbeit?
Ein Text folgt handwerklich bestimmten Gesetzmäßigkeiten, beispielsweise beim Spannungs- und Figurenaufbau. Sprich: Er braucht eine bestimmte Struktur, um am Ende wirklich Bestand zu haben. Da kommt Gateless Writing an seine Grenzen. Bei dieser Methode geht es eher um die kreative Arbeit zu Beginn des Schreibprozesses und währenddessen, wenn es mal nicht weitergeht. Ich trete als Autorin erst einmal einen Schritt zurück und schaue was da an Geschichte kommt – von unten nach oben gewissermaßen. Auch bei der Figurenentwicklung ist Gateless Writing hilfreich. In den Schreibübungen können Figuren lebendig werden, ein Eigenleben entwickeln. So entsteht eine Grundlage für das spätere Buch. Während des Schreibprozesses hilft die Methode, wieder reinzukommen, kreativ aufzutanken und vor allem: Spaß dabei zu haben.
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