

»Ein einfacher Satz kann sehr viel auslösen.«
Doris Büchel ist Autorin, sie schreibt Biografien und setzt sich in ihrem aktuell erschienenen Memoir mit der Endlichkeit auseinander. Im Interview spricht sie über letzte Briefe, ungeschliffene Sätze und ihr sehr persönliches Buch „Wie lange ist nie mehr“.
Doris, du schreibst Biografien für prominente und weniger bekannte Menschen. Außerdem unterstützt du Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben, beim Verfassen eines letzten Briefes. Wie ist diese Idee entstanden?
Eine ältere Frau, über deren Leben ich geschrieben habe, erzählte mir von dem schlechten Verhältnis zu ihrem Bruder. Die beiden hatten wegen eines Streits keinen Kontakt mehr, das hat die Frau sehr beschäftigt. Ich habe vorgeschlagen, ihm einen Brief zu schreiben und sie dabei unterstützt. Ein paar Tage später stand der Bruder tatsächlich vor der Haustür, und die beiden konnten sich aussprechen. Als ich gesehen habe, wie viel dieser Brief in Gang gesetzt hat, dachte ich: Vielleicht ist das auch für andere Menschen interessant, die selbst nicht mehr dazu in der Lage sind. Ich habe unter anderem Kontakt zu einem Hospiz aufgenommen und im Gespräch mit dem Pflegedienstleiter von einem Ansatz erfahren, der meiner Idee sehr ähnlich ist: der würdezentrierten Therapie.
Was ist die würdezentrierte Therapie – und was hat sie mit Schreiben zu tun?
Die Methode ist empirisch erforscht und soll Menschen dabei unterstützen, sich mit dem nahenden Sterben auseinanderzusetzen. Ich führe Gespräche mit den Betroffenen. Dabei orientiere ich mich an vorgegebenen Fragen, die Gedanken und Gefühle der Menschen aufgreifen. Aus dem aufgezeichneten Gespräch entwickele ich im Austausch mit meinem Gegenüber ein persönliches Dokument, eine Art Brief. Den kann die Person auch Freunden oder der Familie hinterlassen. Vor allem geht es aber darum, den betroffenen Menschen in dieser allerletzten Lebensphase zu unterstützen.
»Manchmal kann auch ein Satz, der ein bisschen holpert oder ganz einfach ist, sehr viel auslösen.«
Was hast du aus diesen Gesprächen für dein eigenes Schreiben gelernt?
Dass es nicht immer die perfekt geschliffenen Sätze sind, die am meisten berühren. Manchmal kann auch ein Satz, der ein bisschen holpert oder ganz einfach ist, sehr viel auslösen. Diese Erkenntnis hat mir beim Schreiben meines eigenen Memoirs den Druck genommen.
Dein Memoir „Wie lange ist nie mehr“ ist kürzlich erschienen. Auch darin geht es um das Thema Tod und Sterben. Warum wolltest du dieses Buch schreiben?
Die Arbeit mit sterbenskranken Menschen hat bei mir einiges ausgelöst. Zu Anfang dachte ich noch: Der nahende Tod, das ist die Realität der anderen. Ich selbst stehe mitten im Leben. Dann habe ich erstmals eine Frau besucht, die so alt war wie ich. Und plötzlich wurde mir klar: Das könnte ich sein. So habe ich angefangen, mich mit meiner eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen und dachte, es könnte auch andere interessieren – zumal das Thema immer noch in einer Tabu-Ecke ist.
Warum hast Du die Form des Memoirs gewählt, also deine persönlichen Erfahrungen einfließen lassen? Du hättest ja auch ein Sachbuch oder einen Roman schreiben können.
Ich habe alles ausprobiert und hätte mich sehr gern hinter einer fiktiven Figur versteckt. Während der Arbeit an meinem Buch habe ich die Jahresklasse der Textmanufaktur bei Wolfram Mayer-Schuchard belegt. Ich habe verschiedene Perspektiven durchgespielt, bin aber immer wieder bei diesem „Ich“ angekommen. Auch ein Sachbuch hätte für mich nicht gepasst. Mir ist damals klar geworden: Wenn ich über Menschen in dieser verletzlichen Lebensphase schreibe, muss ich mich auch selbst verletzlich zeigen. Sonst wäre es mir vorgekommen, als würde ich andere vorführen, während ich mich verstecke.
Dein Memoir ist im Schweizer Wörterseh Verlag erschienen. Dort hattest du bereits zwei Biografien veröffentlicht. War der Verlag sofort offen für ein Memoir?
Ich habe der Verlegerin von meiner Themenidee erzählt, der Auseinandersetzung mit der Endlichkeit. Ich wusste zu dem Zeitpunkt aber noch nicht, wie ich das umsetzen wollte. Da sie mich kannte und mir vertraut, sagte die Verlegerin: Mach einfach! Wir haben einen Vorvertrag aufgesetzt, der beiden Seiten die Möglichkeit gab, zurückzutreten, wenn etwas vollkommen anderes dabei herauskommt. Tatsächlich war der Text dann völlig anders, als erwartet – eben kein Sachbuch, sondern ein sehr persönliches Buch. Aber der Verlag wollte es trotzdem unbedingt machen, was mich natürlich sehr gefreut hat.
Du beschreibst in deinem Buch auch die Geschichten einiger Menschen, die du begleitet hast. Wie sieht es mit den Persönlichkeitsrechten aus? Hast du ihre Lebensläufe und Namen verfremdet?
Ursprünglich hatte ich biografische Details und Namen verändert. Aber die Angehörigen baten mich nach dem Gegenlesen, die tatsächlichen Vornamen und Geschichten zu verwenden. Es hat ihnen viel bedeutet, dass die Verstorbenen Platz in dem Buch finden. Für zwei oder drei Geschichten, die mir in ähnlicher Form immer wieder begegnet sind, habe ich fiktive Figuren gewählt.
Was hat dir beim Schreiben besonders geholfen?
Dass einige Menschen aus dem Bekanntenkreis Textabschnitte gegengelesen und mich in dem Prozess begleitet haben und auch das Feedback in der Schreibwerkstatt bei der Textmanufaktur. Wolfram Mayer-Schuchard hat uns immer wieder bestärkt, zu einem Thema zu schreiben, das uns wirklich am Herzen liegt. – Ein Thema für das man brennt, mit dem man sich am liebsten von morgens bis abends beschäftigen will. Und das war bei mir wirklich so.

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