Frank Griesheimer
Eine Story finden, die Kinder und Jugendliche lesen möchten
Der Lektor Frank Griesheimer gehört den renommiertesten Lektoren in Deutschland und arbeitet für viele Kinder- und Jugendbucherlage. Im Interview spricht er über Trendthemen, die erste Liebe und notwendige Adjektive. Er erklärt, warum Exposés wichtig und autobiographische Geschichten im Kinder- und Jugendbuch oft schwierig sind.
Frank Griesheimer, Sie arbeiten schon seit vielen Jahren als freier Lektor im Bereich Kinder- und Jugendbuch. Welche Stoffe sind derzeit besonders gefragt?
Es kann nicht schaden, die aktuellen Trends im Blick zu haben. Im Kinderbuch sind das zurzeit: magischer Realismus – also ein realistisches Setting plus ein fantastisches Element –, außerdem Comic-Romane mit hohem Bildanteil und der Dauerbrenner Tiere, beispielsweise mit Tierwandlern oder tierischen Begleitern. Natürlich werden auch weiterhin Kinder-Krimis und Schulgeschichten gelesen. Dabei sollten Autorinnen und Autoren auch Diversität und Inklusion berücksichtigen. Im Jugendbuch gefragt sind die Themen Liebe, sanfter Horror, Engagement für eine bessere Welt und die schnell wechselnden Mode-Genres, wie aktuell Dark Academy. Um das eigene Projekt richtig einzuordnen, können Buchhändler und Lektorinnen gute Ratgeber sein.
Gibt es auch Genres im Bereich Kinder und Jugend, von denen Sie Debütautorinnen und -autoren derzeit eher abraten würden?
Man würde es sich unnötig schwer machen, wollte man gleich mit dem ersten Buch die ganze Branche von einem neuen Stoff oder Stil überzeugen. Deshalb ist es ratsam, sich an aktuell beliebte Genres anzuschließen und die damit verbundenen Leser-Erwartungen gekonnt bis originell zu erfüllen. Dabei würde ich lieber nicht gegen den Zeitgeist-Strom schwimmen: Historische Romane – eigentlich eine zeitlose Gattung – haben es im Jugendbuch gerade schwer. Wobei zeithistorische Stoffe eher eine Chance haben als ferne Epochen. Es kommt darauf an, für das, was man erzählen möchte, eine Story zu finden, die Kinder und Jugendliche lesen möchten. Da ist manchmal die allererste Idee nicht gleich die beste.
Was braucht ein gutes Kinder- oder Jugendbuch?
Das steckt eigentlich schon im Wort: Es sollte von jemandem geschrieben werden, der oder die sich in den Köpfen und Herzen von Kindern und Jugendlichen auskennt. Zwar sind alle Autorinnen und Autoren „uralt“, verglichen mit der Zielgruppe. Das muss aber so sein, Kinder können nun mal noch keine Kinderbücher schreiben. Umso wichtiger ist, dass die Autorinnen und Autoren sich einfühlen können in die Lebenswelt und das Lebensgefühl ihrer Protagonisten. Zum Beispiel sollte man sich noch daran erinnern können, wie es ist, zum ersten Mal verliebt zu sein; oder wenn die Gefühle zwischen Ohnmacht und Allmacht schwanken.
Was sind die grundlegenden Unterschiede, verglichen mit dem Schreiben für eine erwachsene Zielgruppe?
Sehr hilfreich ist, sich darüber bewusst zu sein, dass Kinderbuch und Erwachsenenbuch zwei völlig verschiedene Welten sind. So kann zum Beispiel ein kühner Vergleich im Erwachsenenbuch nobelpreisverdächtig sein, im Kinderbuch dagegen eher deplatziert. Oder es gilt eine adjektivreiche Sprache im Kinderbuch als guter Stil, im Erwachsenenbereich als unschön. Selbstverständlich passiert es allen Autoren, auch den arrivierten, dass sie sich da mal vertun. Aber dafür gibt es ja Lektoren.
Bei der Textmanufaktur geben Sie regelmäßig Seminare zu Kinder- und Jugendliteratur, aktuell wieder im Mai. Sind die eher für die Arbeit am ersten Buch gedacht oder auch für erfahrenere Autorinnen und Autoren?
In meine Seminare kommen Leute, die gerne für junge Menschen schreiben und die es mögen, sich darüber auszutauschen. Ob „Anfänger“ oder „Profi“ – an Gelegenheit zum professionellen Gespräch fehlt es im Alltag meistens. Dieses vorrangige Bedürfnis möchte das Seminar erfüllen. Eine mögliche Veröffentlichung kommt als Motiv gleich an zweiter Stelle. Insbesondere Debütantinnen und Debütanten empfehle ich, sich so früh wie möglich Expertise und Feedback von Profis und anderen Schreibenden zu holen – um sich Irrwege zu ersparen, aber auch, um sich durch Lob für Gelungenes motivieren zu lassen.
Welche Probleme fallen Ihnen in Texten für die junge Zielgruppe immer wieder auf?
Hm, da gäbe es vieles zu nennen. Wir sprechen deshalb im Seminar nicht so sehr über allgemeine Fehler, sondern gehen speziell auf die Probleme der vorgelegten Projekte ein. Ich nenne trotzdem mal die häufigsten „Fettnäpfchen“ beim Schreiben für Kinder und Jugendliche: Erstens, dass man einen autobiografischen Stoff wählt, der zwar für hohe Authentizität sorgt, aber es einem manchmal auch erschwert, professionell damit umzugehen. Und zweitens, beim Schreiben mit mindestens einem Auge nach Erwachsenen zu schielen statt nach jungen Lesern. Das muss man aber nur einmal merken ? oder freundlich gesagt bekommen ?, dann ist es schon halb behoben und für immer verlernt.
Was sollten Debütautorinnen und -autoren auf jeden Fall tun?
Alle Autorinnen und Autoren – Laien wie Profis – empfinden es als lästige Pflicht, ein Exposé zu schreiben. Ich rate aber dazu, darin eine Chance zu sehen, es genau und sorgfältig zu tun. So ein Arbeits-Exposé ist meiner Erfahrung nach sehr aufschlussreich für den Lektor, aber auch für einen selbst. Es zeigt, wo eventuell noch Durchhänger in der Handlung oder Schwachstellen in der Konstruktion vorliegen, und ist damit wesentlicher Teil des „Selbstlektorats“. Und man sollte bitte darauf achten, den Inhalt vollständig wiederzugeben, also nicht, was gerne gemacht wird, den Schluss offenlassen!
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