Spielerisch-ernsthaft hinter die eigenen Geschichten schauen
Die Autorin Gesina Stärz im Gespräch
Vom eigenen Leben erzählen – wie geht das? Die Autorin Gesina Stärz spricht im Interview über die Wahrheit hinter den Anekdoten, Distanz zum eigenen Ich und wie Schreiben neue Einblicke eröffnet.
Gesina Stärz, am 9. Mai [2020] startet Ihr Online-Kurs zum autobiographischen Erzählen. Was fasziniert Sie am Schreiben übers eigene Leben?
Jedes Leben ist reich an Erlebnissen und Erfahrungen, das interessiert mich. Die Spannung steht dabei gar nicht so im Vordergrund, sondern eher der Aspekt der Entwicklung, also wie sich ein Leben entfaltet. Genau davon lebt ja die Literatur. Da geht es immer um die subjektive Wahrhaftigkeit des Erlebten, also das tiefe Erleben von Momenten und Situationen, die ich persönlich als wahr empfinde. So ähnlich beschreibt das auch die Schriftstellerin Siri Hustvedt in einigen ihrer Essays. In einer Autobiographie ist diese subjektive Wahrhaftigkeit noch präsenter als im fiktiven Roman.
Welche besonderen Tücken gibt es beim autobiographischen Erzählen?
Das beginnt schon bei der Recherche. Wir kennen alle irgendwelche Geschichten und Anekdoten aus unserem Leben. Aber um diese Geschichten geht es gar nicht – oder jedenfalls nicht vordergründig. Beim autobiographischen Erzählen schaue ich dahinter und frage: Was ist da noch? Was verbirgt sich vielleicht hinter den bekannten Geschichten? Welche Türen öffnen sich? Das ist eine ganz besondere Entdeckungsreise, auf die Schreibende sich dabei begeben.
Wie gelingt es, hinter solchen viel erzählten Anekdoten etwas Neues zu entdecken?
Es gibt viele verschiedenen Tools, mit denen man den Fokus schärfen kann für Dinge, die man vorher nicht im Blick hatte. Ich kann zum Beispiel ein Wort aus dem eigenen Leben nehmen, sagen wir ein Tier – den Hund oder die Katze – und dann frei assoziieren: Was verbinde ich damit, was fällt mir dazu ein? Da gehe ich also nicht chronologisch vor, sondern nehme einen Begriff als Ausgangspunkt. Beim autobiographischen Schreiben habe ich kreativ-spielerisch die Möglichkeit, mich neu und anders auf vergangene Lebensmomente einzulassen und auf diese Weise interessante Entdeckungen zu machen. Das ist eine Art spielerische Ernsthaftigkeit – auch wenn das erstmal widersprüchlich klingt. Autobiographisches Schreiben bietet die Möglichkeit, tiefer zu gehen.
Wenn ich jede Erinnerung hinterfrage und immer tiefer grabe, dann bekomme ich irgendwann vielleicht keine Geschichte mehr zustande, sondern habe nur noch Bruchstücke, oder?
Beim Schreiben entsteht eine Distanz. Und es ist die Frage, wie groß oder klein ich diese Distanz wähle. Wenn ich schreibe – auch wenn ich die Ich-Perspektive verwende – entsteht eine Kunstfigur. Das bin ja nicht wirklich ich, diese Ich-Erzählerin. Durch diese Distanz wird die eigene Lebensgeschichte zur Literatur. Das ist vergleichbar mit einem Maler, der eine Landschaft betrachtet, um diese zu malen. Das Bild, das schließlich entsteht, ist natürlich nicht die Landschaft, sondern ein Bild davon. So ähnlich ist es beim Schreiben. Das Schriftliche, das da entsteht, ist ein Bild von der eigenen Lebensgeschichte, aber es ist nicht identisch mit meiner Lebensgeschichte.
Derzeit passiert im Leben der meisten Menschen ja nicht besonders viel. Wegen der Ausgangsbeschränkungen trifft man weniger Leute, hält sich oft zu Hause auf. Ist das eine gute Zeit, um über das eigene Leben zu schreiben?
Das ist sicherlich für jede und jeden anders. Aber ich kann mir vorstellen, dass es eine gute Zeit zum Schreiben ist. Viele Menschen erzählen, dass sich durch die Kontaktbeschränkungen ihr Empfinden von Zeit verändert. Wenn der Alltag sich verlangsamt, dann hat man vielleicht Zeit, sich Dinge genauer anzuschauen und kommt zu neuen Erkenntnissen und Sichtweisen. Für mich flammt durch diese Kontaktbeschränkungen ein Gefühl oder eine Idee wieder auf, die mich seit einiger Zeit beschäftigt: Wir müssen alle langsamer Leben. Das fließt auch in mein Schreiben ein.
Welche Rolle spielt autobiographisches Erzählen denn in Ihren Romanen?
Meine Romane sind nicht in erster Linie autobiographisch. Ich gehe eher den umgekehrten Weg wie bei einer klassischen Autobiographie: Es gibt ein Thema, einen Stoff, der mich fasziniert, mich emotional anspricht. Und daraus entwickle ich einen Roman. Das, was mich emotional berührt, hat natürlich immer auch mit meinem Leben zu tun. Es fließen also eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit ein, aber nicht ausschließlich.
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