Auch Spitzentitel muss man lieben

Karsten Kredel im Gespräch

Karsten Kredel, ehemaliger Programmleiter für ausländische Literatur bei den Verlagen Suhrkamp und Insel, zuletzt verlegerischer Geschäftsführer der Ullstein Buchverlage, im Gespräch über das Verlegen von deutschsprachiger und ausländischer Literatur:

Du bist bei Suhrkamp verantwortlich für die ausländische Literatur. Gerade warst du ein paar Tage in Edinburgh; du reist viel herum. Macht dir der Job Spaß? Wie sieht dein Alltag aus?
Es ist ein toller Job, der allerdings den meisten anderen Bürojobs gar nicht unähnlich ist. Man verbringt sehr viel Zeit damit, E-Mails zu schreiben und zu telefonieren. Es ist ja mittlerweile fast zu einem Allgemeinplatz geworden, dass der Lektor ebenso sehr Produktmanager ist wie Leser oder Arbeiter am Text. Der Büroalltag besteht letztlich darin, die Bücher, die man macht, zu begleiten, dafür zu sorgen, dass sie richtig positioniert und mit den richtigen Botschaften ausgestattet werden, dass sie das bestmögliche Marketing und einen guten Umschlag bekommen. Es ist sehr viel Kommunikation dabei, gerade wenn man sich mit fremdsprachiger Literatur beschäftigt. Ein Lektor für deutschsprachige Literatur kennt die drei, vier Schreibschulen, die vier, fünf Literaturzeitschriften und die sieben, acht Agenturen, die relevant für ihn sind. Bei der internationalen Literatur gibt es erst mal die vielen Sprachen und innerhalb der Sprachen, vor allem bei den großen Märkten: beispielsweise den spanischsprachigen oder englischsprachigen, eine sehr viel größere Anzahl an Partnern, mit denen man regelmäßig oder unregelmäßig zu tun hat. Also, es ist sehr viel Kommunikation, aber es macht großen Spaß.

Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen der deutschsprachigen und der ausländischen Literatur – von den Themen, den Stoffen, der ganzen Verarbeitung des Materials?
Eigentlich nicht. Zumindest nichts, was man verallgemeinern könnte. Es ist allenfalls so, dass die Professionalität bei ausländischen Texten, vor allem aus dem anglophonen Bereich, deutlich höher ist, die Texte erreichen die Verlage in einem sprachlich sehr gestalteten und fertigen Zustand. Viele Texte ähneln sich aber auch. Deutschsprachige Texte sind oft noch unfertiger, mit einer geringeren Professionalität verfasst worden, sind dann aber häufig, das kann man aber natürlich auch nicht verallgemeinern, interessanter. Bei Büchern, die man für eine mögliche Übersetzung prüft, braucht man manchmal zweihundert Seiten, bis man merkt, dass es eigentlich im Inneren hohl ist oder relativ banal, obwohl es erst mal gut klingt. Das hat mit der ausgeprägten Infrastruktur von Schreibschulen in Amerika und in England zu tun. Und das gilt auch für andere europäische Länder, wo das schon sehr viel selbstverständlicher verankert ist, auch an den Unis.

Der Suhrkamp Verlag, das ist ja schon ein geflügeltes Wort, die Suhrkamp-Literatur als die gute alte Literatur, ist eher an Sprache orientiert, ein Gestus, der immer noch diesen leichten Geniegedanken pflegt. Ist das immer noch so oder ist das ein Klischee geworden?
Es stimmt beides, glaube ich. Es ist immer noch so, und der Verlag bewahrt sich auch diese Haltung. Für das Suhrkamp-Hauptprogramm suchen wir nach Texten, von denen man guten Gewissens sagen kann, das ist jetzt einfach der beste Text. Es gibt aber auch den Insel Verlag, es gibt das Taschenbuchprogramm, es gibt die Reihe »nova« und andere Reihen, in denen es sehr viel stärker auch um gutes Erzählen geht. Es wäre vermessen, zu sagen, dass wir ausschließlich Weltklasseliteratur verlegen. Das ist nicht möglich.

Der Wandel im Buchmarkt ist derzeit immer und überall Thema, die Auflagen werden kleiner, es diversifiziert sich alles durch die Digitalisierung. Macht sich das bei euch auch bemerkbar? Und wie reagiert ihr darauf?
Die wahrnehmbarste Veränderung der vergangenen Jahre besteht darin, dass die Anzahl der Bücher, die überhaupt irgendeine Art von Aufmerksamkeit bekommt, immer geringer wird. Das betrifft sowohl die Öffentlichkeit als auch den Buchmarkt, also das, was man überhaupt zu kaufen kriegt, wenn man in die Buchhandlung geht. Es gibt eine Zuspitzung auf wenige, sehr erfolgreiche Titel. Und natürlich kommt kein Publikumsverlag, also kein Verlag, der eine gewisse Umsatzgröße hat und nicht spezialisiert ist, sondern sich an ein allgemeines Publikum richtet, umhin, zu versuchen, pro Jahr drei, vier, fünf, sechs solcher Bücher im Programm zu haben, die das ganze ökonomisch ein bisschen beruhigen und die einem auch erlauben, andere Bücher zu machen, von denen man eigentlich von vornherein weiß, dass sie nur mit Mühe das einspielen werden, was für sie investiert wurde.

Wird es durch die verschiedenen medialen Möglichkeiten schwieriger, diese Spitzentitel zu positionieren, oder funktioniert das heute nur anders?
Das war schon immer schwierig. Es haben schon viele Verleger mehr oder weniger inspiriert versucht, den Bestseller zu planen. Das funktioniert nicht. Man kann durch bestimmte Dinge, die man falsch macht, ausschließen, dass ein Buch ein Bestseller wird, aber man kann auch ganz viel richtig machen und es passiert trotzdem nichts. Nichtsdestotrotz versucht man es natürlich und unterstützt die Bücher so gut es geht und kann nur hoffen, dass eine Dynamik entsteht, die dazu führt, dass das Buch erfolgreich wird. Am Ende sind es die besonderen Titel, die einen Nerv treffen und sich durchsetzen. Diese Nicht-Planbarkeit ist etwas, was viele Lektoren gelegentlich beklagen mögen, ohne die sie aber ihren Job nicht so gerne machen würden.

Führt das zu einer Zwickmühle zwischen Rentabilität und den Herzensangelegenheiten?
Es geht natürlich sehr viel Aufwand in die Spitzentitel, aber bei vielen literarischen Verlagen gibt es noch Zeit und Raum, diese Herzensprojekte zu machen. Abgesehen davon wird auch aus den Spitzentiteln nichts, wenn da kein Herzblut drinsteckt. Es ist völlig unmöglich, mit einem zynischen Blick auf den Buchmarkt zu sagen: So was geht gerade, also machen wir es. Das sind Totgeburten. Auch diese Titel müssen von irgendwem geliebt werden, und dann muss es eine Energie, eine Dynamik und eine Begeisterung geben, die schon im Verlag einsetzt, sonst wird es nie etwas sein, womit man Leser erreicht.

Woran orientierst du dich, wenn du Rechte einkaufst? An den Zahlen im Originalmarkt?
Das kommt auf die Märkte an. Bei den kleinen Sprachen, aus denen relativ wenig übersetzt wird, kriege ich die fertigen Bücher auf den Schreibtisch, und man weiß, wie sie gelaufen sind. Bei den größeren Märkten ist das anders. Da liest man die Titel, bevor sie in ihrem jeweiligen Markt erscheinen, oft sogar, bevor sie fertig geschrieben sind. Es wird, vor allem im Sachbuchbereich, aber auch im Bereich der Belletristik, viel auf der Basis von Teilmanuskripten entschieden. Und die Auslandsrechte werden oft schon in dem Moment verkauft, in dem das Manuskript in seinem Ursprungsland einen Verlag findet. Man ist also auf sein Urteil und auf sein Gespür zurückgeworfen.

Ist das Risiko nicht sehr hoch, wenn da große Titel im Gespräch sind? Man muss mitbieten, Lizenzen werden versteigert, wie hoch geht man mit?
Das ist gelegentlich ein sehr spekulatives Geschäft.

Noch mal eine Frage zu deutschsprachigen Manuskripten: Wie viele Seiten werden gelesen, wenn unverlangte Manuskripte kommen? Werden sie überhaupt gelesen?
Sie werden gelesen, aber in der Regel vorsortiert. Da gibt es Hospitanten, Volontäre oder freie Mitarbeiter, die diese Texte durchackern. Anders wäre das kaum zu bewältigen. Bei Suhrkamp gehen grob geschätzt tausend Manuskripte pro Jahr ein, also etwa drei am Tag, zusätzlich zu denen, die man angefordert hat. Es gibt viele Texte, bei denen man nach fünf Seiten weiß, dass man die nicht machen will. Das bedeutet nicht immer, dass sie schlecht sind. Das kann auch einfach bedeuten, dass sie sehr offensichtlich nicht ins Programm passen. Da muss man sich dann gelegentlich zusammenreißen und daran hindern, weiterzulesen. Dieses professionelle Lesen ist auch eine Art von Disziplinierung, die gegen den Wunsch nach Muße bei der Lektüre arbeitet. Wenn etwas gut klingt und auch grundsätzlich passen würde, liest man weiter. Und oft ist es dann tatsächlich so, dass man sehr weit lesen muss, um zum Ausschluss eines Textes zu kommen, oder um sich im positiven Fall darüber klar zu werden, was man daran eigentlich schätzt, und ob das wirklich gut und besonders ist oder doch nur eine sehr professionell gearbeitete Textoberfläche.

Wie wichtig ist das Alter eines Debütanten? Gibt es noch den Jugendwahn, dass alle so jung und vermarktbar und total hipp sein müssen?
Klar, die Tendenz gab es, vor allem in der zweiten Hälfte der Neunziger, als das Phänomen Popliteratur aufkam und die Agenturen auf dem deutschsprachigen Markt Fuß gefasst haben. Und natürlich ist man als Verlag heutzutage auf die Medien angewiesen, gar nicht unbedingt darauf, dass die Autorinnen jung, hipp und medial umfassend darstellbar sind, aber es wirkt sich positiv aus, wenn sie in der Lage sind, selber etwas für ihre Bücher zu tun und eine Öffentlichkeit herzustellen. Aber kein junger, hipper Autor nutzt einem etwas, wenn das Buch nichts taugt.

Karsten Kredel

Karsten Kredel, 1973 geboren, ist Verleger und Übersetzer. Er studierte amerikanische, deutsche und afrikanische Literatur in Berlin und Harvard. Als Übersetzer und Lektor war er bei Suhrkamp, Eichborn und Insel, übernahm 2014 die Leitung von Hanser Berlin und wurde 2020 verlegerischer Geschäftsführer der Ullstein …
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