Die Angst beim Schreiben handhabbar machen
Die Lektorin Kristine Kress im Gespräch
Kristine Kress arbeitet seit 15 Jahren als Lektorin. Außerdem coacht sie Autorinnen und Autoren, zum Beispiel bei Schreibblockaden. Im Interview spricht sie über ihre Methoden, gibt Tipps für zu Hause und erklärt, warum Ängste einen nicht am Schreiben hindern müssen.
Kristine Kress, Sie sind Lektorin und Coach für Prozessarbeit. Was ist das für ein Ansatz?
Beim prozessorientierten Coaching geht es um Offenheit für das, was sich gerade im Leben ereignet. Meistens gibt es ja eine Störung oder Krise, wenn man sich für ein Coaching entscheidet. Der erste Impuls ist, das beseitigen zu wollen. In der prozessorientierten Arbeit verändern wir den Blick. Wir begreifen das, was sich ereignet, nicht als einen Zustand, der zu überwinden ist. Sondern das ist ein Teil unseres Lebens, der ein Recht hat, da zu sein, auch wenn er uns gerade bei unserem Vorhaben im Weg ist. Wir versuchen also, uns dieser „Störung“ neugierig und wohlwollend zuzuwenden – jedenfalls soweit das möglich ist.
Was heißt das genau, zum Beispiel bei einer Schreibblockade?
Da kann ich erst einmal fragen: Was blockiert mich da? Vielleicht sind es Versagensängste, irgendwelche Befürchtungen, etwa es nicht „gut genug“ zu machen, die mich vom Schreiben abhalten. Ein guter Umgang damit kann sein, die Ängste erstmal auf einen Zettel zu schreiben und zur Seite zu legen. So bekommen sie einen Platz, aber stehen nicht mehr ständig im Weg. Oft ist es auch hilfreich, sich einen motivierenden Begleiter zu vergegenwärtigen. Das kann jemand aus dem tatsächlichen Leben sein – zum Beispiel die Deutschlehrerin, die immer an mich geglaubt hat – oder ein Vorbild, wie eine Schriftstellerin, die ich sehr bewundere. Was würde diese Person mir sagen? Wie würde sie mich unterstützen? Diese Vorstellung kann ich mir als Ressource zur Seite stellen.
Lassen sich Versagensängste denn so schnell beseitigen?
Man muss die Ängste gar nicht beseitigen, um weiterzuschreiben. Ängste sind an sich nichts Schlechtes, sondern Gefühle, die kommen und gehen und auch ihre Berechtigung haben. Die Schwierigkeiten entstehen vielmehr dann, wenn sie übermächtig werden, mein Handeln bestimmen, mich blockieren. Es geht also eher darum, die Angst handhabbar zu machen, handlungsfähig zu bleiben. Häufig bedeutet das, zunächst wahrzunehmen: Da ist etwas, das stört und sich nicht angenehm anfühlt. Und dann zu schauen: Was kann ich diesem unangenehmen, lähmenden Gefühl an die Seite stellen? Auf welche Ressourcen kann ich zugreifen, um mir Kraft und Inspiration zu holen? Was also kann ich tun, mit den Mitteln, die mir jetzt zur Verfügung stehen, um den nächsten Schritt zu gehen und dann wieder den nächsten?
Haben Sie einen Tipp, wie ich mit Schreibblockaden umgehen kann, wenn ich allein zu Hause damit kämpfe?
Oft ist es hilfreich, den Körper einzubeziehen, zum Beispiel indem man den eigenen Prozess buchstäblich nach-geht. Ich kann dafür Zettel auf den Boden legen: Einen für den Startpunkt, der mein Anliegen repräsentiert, zum Beispiel „Ich möchte schreiben“. Ein zweiter markiert meine Blockade und der dritte Zettel ist das Ziel, in dem Fall: „Ich habe den Text geschrieben“. Wenn ich bewusst vom Start an der Krise vorbei zum Ziel gehe, kann das auch geistig etwas bewegen. Denn dabei habe ich körperlich erfahren, dass ich meine Blockade einfach links liegen lassen, also überwinden kann. Viele kennen so etwas aus dem Alltag, wenn sich Probleme unversehens während eines langen Spaziergangs auflösen. Diesen Effekt kann ich mir mit solchen Methoden auch ins Haus holen.
Eignet sich der prozessorientierte Ansatz besonders für Schreibende?
Ich habe die Methode selbst als Teilnehmerin ausprobiert und fand sie sehr hilfreich. Man arbeitet zwar tiefgründig, redet dabei aber nicht Ewigkeiten über seine Themen und Probleme. Menschen wie wir, die viel mit Sprache und Worten zu tun haben, sind meistens auch gut darin, ihre Probleme zu beschreiben. Aber großartige Theorien zu formulieren, warum das jetzt so ist – das hilft oft nicht weiter. Darum finde ich die vielfältigen und kreativen Ansätze der Prozessarbeit – von Rollenspielen und Arbeit mit Träumen bis zur Körperarbeit – so hilfreich und überzeugend, nicht zuletzt weil mir die zugrundeliegende Haltung so gefällt: sich mit Neugier, Wohlwollen und Humor allem zuwenden, was sich gerade im Leben zeigt.
Coachen Sie auch Autorinnen und Autoren, deren Texte Sie lektorieren?
Nein, das trenne ich voneinander. Denn als Coach nehme ich eine andere Rolle ein. Bei einer Schreibblockade kann es sehr entlastend sein, mit einer Person zu sprechen, die kein eigenes Interesse am Gelingen des Buchprojekts hat. In der Arbeit mit mir geht es erstmal nicht darum, das Buch fertigzubekommen, sondern um das, was gerade bei einem selbst los ist.
Im November bieten Sie ein Schreibretreat auf Sylt an. Was erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Vor allen Dingen die Möglichkeit, fünf Tage lang an ihren Projekten zu arbeiten, weitgehend ohne Ablenkung und in einer wunderschönen Umgebung direkt am Meer – jede*r für sich, aber in der Gemeinschaft Gleichgesinnter. Morgens treffen wir uns zu einem kurzen Check-in in der Gruppe und wer mag, kann sich einer Kreativitätsübung anschließen. Am späten Nachmittag kommen nach getaner Arbeit alle nochmal zusammen und es gibt die Gelegenheit, sich auszutauschen und Fragen zu stellen. Darüber hinaus biete ich Einzelgespräche an, in denen ich die Teilnehmenden in ihrem Schreibprozess begleite. Und am Ende des Retreats gibt es eine gemeinschaftliche Lesung, bei der – wieder wer mag – vor den anderen Teilnehmenden aus den entstandenen Texten vorlesen kann. Erfahrungsgemäß ein sehr erhebender Moment!
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