»Atmosphäre erzählt die Geschichte mit«
Autorin, Lektorin und Dozentin Marie Gamillscheg im Gespräch
Marie Gamillscheg ist Autorin, hat zwei Romane und mehrere Erzählungen veröffentlicht. Im Interview verrät sie, wie Atmosphäre in ihren literarischen Texten entsteht und warum der Plot erst später dazukommt.
Marie Gamillscheg, Sie sind Autorin, außerdem Dozentin und Lektorin bei der Textmanufaktur. Wie beginnen Sie mit einem neuen Text?
Am Anfang steht immer eine Frage, die mich umtreibt. Bei meinem Roman »Aufruhr der Meerestiere« war das die Frage nach der Beziehung zwischen Vätern und Töchtern und woran sie krankt. Ich beginne dann, viel zu diesem Thema zu lesen, auch philosophische und literaturtheoretische Texte. In jedem Projekt gibt es irgendwann einen magischen Moment, wo ich das Gefühl habe: Alles passt zusammen und führt mich zu diesem einen Thema zurück. Dann weiß ich, dass ich an etwas Größerem sitze.
In Ihrem Roman »Aufruhr der Meerestiere« geht es auch darum, wie wir als Menschen mit Tieren umgehen. Wie hängt das mit Ihrem ursprünglichen Thema zusammen, dem Verhältnis von Vater und Tochter?
Bei der Arbeit an einem Roman denke ich immer auch über die Rolle des Schreibens und Erzählens nach. Bei »Aufruhr der Meerestiere« habe ich mich viel mit Macht und Sprache beschäftigt. Wie beeinflusst das Sprechen über eine Person oder über die Natur unseren Umgang mit ihr? Das hat mich auf verschiedenen Ebenen interessiert, in der Beziehung zwischen Vater und Tochter ebenso wie im Verhältnis des Menschen zur Natur.
Wie ist aus diesen Ideen ein Roman entstanden?
Bei mir ist es so, dass ich mich an den Plot erstmal heranschreiben muss. Dabei schreibe ich mich manchmal in Sackgassen hinein, probiere es anders, bis es stimmig ist. Ich habe einen sehr guten Lektor, der mich von den Ideen in meinem Kopf immer wieder zurück auf die Plotebene bringt, der auch mal fragt: Worum geht es hier konkret? Der Plot entsteht nach und nach beim Schreiben. Ich folge eher meinem Gefühl, einer Stimmung, die mir sagt, wo es hingehen soll.
Welche Rolle spielen Stimmung und Atmosphäre für Ihre Texte?
Für mich ist Atmosphäre wesentlich, sie erzählt die Geschichte mit. Atmosphäre kann ich auf mehreren Ebenen erzeugen, zum Beispiel indem ich mich in einer Bilderwelt bewege, die mein Thema spiegelt. Auch die Sprache ist wichtig, ihre Melodie, ihr Rhythmus. In »Aufruhr der Meerestiere« wollte ich das Wasser in den Text holen durch eine Sprache, die rhythmisch Wellen schlägt und immer weitergeht. In meinem ersten Roman »Alles was glänzt« geht es um Bergbau, und der Text ist sprachlich wesentlich karger. Während ich schreibe, lese ich meine Texte ständig und entwickle auf diese Weise ein gutes Gespür für den Rhythmus, den der Text braucht. Auch die Form schafft Atmosphäre, zum Beispiel, wenn ich Erinnerungen, Erlebnisse und Träume nicht hierarchisch anordne, sondern zusammenwirken und ineinander übergehen lasse. Atmosphäre entsteht aus dem Zusammenspiel von Form, Sprache und Inhalt.
Wie kann ich beim Schreiben gezielt Atmosphäre schaffen?
Mir helfen Inspirationen von außen, zum Beispiel Playlists mit Liedern, die für eine bestimmte Figur oder einen Ort stehen. Ich tauche in diese Atmosphäre ein, um dann darüber schreiben zu können. Und ich habe immer drei oder vier Bücher griffbereit, schlage sie vor oder während des Schreibens auf und lese ein paar Seiten. Das sind Romane oder Lyrikbände, die mir eine Atmosphäre vermitteln, wie ich sie in meinem Text fassen möchte. Beim Schreiben versuche ich, mich in die Situation meiner Figur zu versetzen, mich zu fragen: Was sieht sie, wenn sie an diesem bestimmten Ort steht, was empfindet sie? Einfühlungsvermögen ist für eine stimmige Atmosphäre also sehr wichtig.
Das könnte Sie auch interessieren
Keine Artikel gefunden.
Bitte versuchen Sie es mit anderen Suchkriterien.