Mich hineinfühlen und Worte dafür finden – das ist Nature Writing
Die Journalistin und Autorin Michaela Vieser im Gespräch
Die Autorin und Journalistin Michaela Vieser über Schreiben und Erleben mit allen Sinnen, Öko-Thriller und Texte, die zum Staunen anregen.
Michaela Vieser, Sie sind Journalistin und Autorin. Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist Nature Writing. Heißt das, Sie schreiben über die Natur?
Die Natur ist doch ein sehr großer, sperriger Begriff und oft bezeichnen wir damit alles jenseits von Kultur. Der Begriff Anthropozän fällt im Nature Writing immer wieder, das vom Menschen geprägte Zeitalter. Das Nature Writing ist eine Art Ausdruck der Achtsamkeit gegenüber dem Leben selbst. Es befähigt dazu, das Leben in all seiner Vielfalt wahrzunehmen. Manchmal geht es auch darum, zu begreifen, dass alles selbst ohne uns Menschen weiter existieren wird. Ich versuche also, in meinen Texten meine Aufmerksamkeit auf die Aspekte des Lebendigen zu lenken. Versuche in uns wachzurufen, dass wir in einer Welt existieren, in der nicht alles sichtbar ist, eine Welt, deren ganze Fülle mit allen unseren Sinnen wahrgenommen und betreten werden kann. Und vielleicht lernen wir beim Schreiben, Lesen und Teilen auch, neu zu staunen über die Vielfalt des Lebens.
Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist Nature Writing als Schreibpraxis bereits recht bekannt. – Und hier bei uns?
Die Themen des Nature Writing gehen im angloamerikanischen Sprachraum weit über das hinaus, was wir im klassischen Sinne darunter verstehen. Es umfasst so viel mehr als Flora und Fauna, Geologie und Meereskunde und beinhaltet die Suche nach Identität, befasst sich mit Gender Equality, schließt manchmal den Kreis zum Transhumanismus. Oft liest man bei der Definition von Nature Writing den Ausdruck: denen eine Stimme verleihen, denen wir sonst nicht zuhören.
Es ist ja eine recht alte Disziplin, die auch von Humboldt und Goethe geprägt wurde, dann lange Zeit im deutschen Raum verpönt war, weil die Naturlyrik ins Schwärmerische und Romantische abgedriftet war, schlimmstenfalls sogar in eine Heim-und-Boden-Polemik. Das hat sich zum Glück geändert. Jetzt kommen auch im Deutschen immer mehr Öko-Thriller, Sachbücher, Familien-Sagas, die knallhart, sachlich oder spirituell die Themen des Nature Writing berühren.
Gibt es für Bücher mit Natur-Thematik hierzulande einen Markt?
Meine Verleger bestätigen mich darin, dass sich Nature Writing gerade nach der Pandemie hier wieder etabliert hat. In einer Welt, in der die alten Regeln nicht mehr halten, in der das Miteinander neu dekliniert werden muss, sind Natur-Orte zu Refugien geworden.
Entsteht durch „Nature Writing“ Nähe zur Natur?
Das Schreiben ist eine Form der ständigen Auseinandersetzung, eine Reflexion, Suche. Wir tauchen dabei ein, versuchen genau zu beschreiben und durch diesen inneren Dialog einen Weg zu finden, der neu begangen wird, der sich frisch anfühlt, der durch die Wahl der Worte und Themen eine Balance erzeugt. Es ist ein ständiges Feilen, genauer Werden, und immer wieder Suchen.
Welche Rolle spielt Wissenschaft im Nature Writing?
Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir so viel Wissen über die Welt angesammelt haben. Aber es ist in einer Sprache verfasst, die uns kaum berührt. Im Nature Writing versuche ich, dieses Wissen über meinen gesamten Körper aufzunehmen, mich hinein zu fühlen und dann Worte dafür zu finden, die dieses Wissen in die Leser hineintragen. Ich verbringe also sehr viel Zeit mit Recherchieren, mit dem Suchen und Lesen von Texten, die relevant sind. Und dann mit dem Hineinträumen.
Schreiben Sie eher journalistisch oder fiktional über Natur?
Ich schreibe lieber essayistisch als journalistisch, da ich mich gerne in einer freieren Form bewege. Es sind Ausflüge in ein bestimmtes Themengebiet, das ich zu erfassen versuche, durch Fakten und über meine eigene sensorische Welt. Hin und wieder arbeite ich auch an fiktiven Texten, an einem Roman, einem Drehbuch, oder einem Libretto. Hier wird die Natur zu einem Ort, an dem oder durch den sich die Emotionen entfalten.
Ist Nature Writing mit einem Appell an den Leser verbunden, die Umwelt zu schützen?
Ich selbst mag es nicht, mit dem Zeigefinger auf Leute zu zeigen und zu sagen: Tu dies, nicht das. Auch das 'Schützen' ist eine seltsame Art des Miteinanders – besser wäre es ja, wenn wir die Natur erst gar nicht vor uns schützen müssten. Es geht mir also eher darum, eine Sensibilität zu entwickeln, die uns unsere Verbindung zur lebendigen Welt wieder spüren lässt. Die uns erkennen lässt, wie sehr wir Teil von allem sind. Und wenn das passiert, ändern die Leser vielleicht gewisse 'schlechte' Angewohnheiten und suchen selbst nach einem neuen Umgang mit der mehr-als-menschlichen Welt.
Der Sonnenuntergang, der stille See … Naturbeschreibungen gleiten schnell ins Kitschige ab. Wie kann ich das vermeiden?
Warum beschreiben wir diese Szene in der Natur? Was wollen wir damit erreichen? Um die richtigen Worte zu finden, müssen wir auf die Suche gehen, unsere Emotionen ergründen, die hier angeregt werden. Das bedeutet ein tiefes Hinabtauchen, wirklich hinein, dorthin, wo es möglicherweise dunkel ist. Irgendwo dort liegt aber etwas verborgen. Und wenn wir die richtigen Worte finden, das zu beschreiben, das uns dort entgegen funkelt, dann kann es nicht kitschig sein.
Wenn ich Aspekte von Nature Writing in meine Texte einfließen lassen möchte – wie gehe ich da am besten vor?
Beobachten. Die Materie kennen, von der man schreibt. Und dann sacken lassen. Hineinspüren.
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