Marketing zerstört die Welt

Der Autor, Bühnenkünstler und Journalist Oliver Uschmann im Gespräch

Oliver Uschmann über engstirnige Vermarktungsstrategien, Bücherschreiben im Team und wie man als Künstler trotz abgesagter Auftritte Geld verdient.

Oliver Uschmann, Sie sind Schriftsteller, Bühnenkünstler und Journalist. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Der Hut hat einen größeren Umfang als bei anderen. Entscheidend ist: Meine Frau Sylvia Witt und ich, wir sind ein Team, ein ständiger Writer’s Room oder Artist’s Room, in dem die Kräfte zusammenwirken. Was der eine übersieht, erspäht der andere. Die Auftritte bestreite ich alleine, denn das Bühnen-Gen liegt mir im Blut. Es gibt kaum etwas Beruhigenderes für mich, als vor 80 Zuhörern in der Buchhandlung, 250 Kindern in der Schul-Aula oder auch 900 Angetrunkenen bei einem Festival zu stehen und unsere Texte zum Leben zu erwecken.

Zur Zeit ist es mit Live-Auftritten eher schwierig. Auf Ihrer Website sind die meisten Termine durchgestrichen – abgesagt wegen Corona. Wie überleben Sie als Künstler in diesen Zeiten?
Obschon ich so oft und gerne live spiele, fußt mein Beruf ja auf vielen Säulen. Lehraufträge an der Universität oder an privaten Schreibinstituten finden in diesen Zeiten alle weiterhin statt und zwar virtuell. Ich habe zu diesem Zweck ein asynchrones Seminarkonzept erstellt, das vorproduzierte Impulsvorlesungen, umfangreiche Übungen, Videokonferenzen sowie die Kommunikation über Messenger-Gruppen miteinander kombiniert. Im Ergebnis entstehen Abläufe und Momente, die noch intensiver sind als so mancher Kurs im Präsenzunterricht. Außerdem schreiben wir in der Corona-Zeit Bücher oder bewerben die fertigen. Lektorate und Textgutachten für andere Autorinnen und Autoren werden erstellt, viele Auftritte durch Videos ersetzt, teils sogar auf offiziellen Auftrag der Verlage hin. Sicher sind diese nicht so gut bezahlt wie reale Veranstaltungen, aber dafür bleiben sie im Netz erhalten.

Sie haben es schon angesprochen: Viele Ihrer Bücher haben Sie gemeinsam als Paar geschrieben. Wie gehen Sie dabei vor?
Teamwork ist kein „auch noch“, sondern unser Fundament. Das war es immer schon, auch bei den Büchern, die nur unter meinem Namen vermarktet wurden, weil es „Männerstoffe“ waren, wie das Verlagswesen es intern gerne sagt. Zwar setzen die Menschen dort heute Gendersternchen in die Substantive, aber die Zielgruppen von Büchergattungen sortieren sie weiterhin nach Jahrzehnte alten Unterstellungen, was angeblich „weiblich“ und „männlich“ ist. Der größte Aufwand beim Erschaffen eines Buches ist nicht das eigentliche Schreiben, sondern der lange Reifeprozess davor. Wer bereits mit dem Schreiben beginnt, wenn die ersten Rinnsale gerade erst schüchtern ins Becken laufen, schreibt am Ende sowieso doppelt und dreifach.
 
Selbstmarketing ist unter Autoren ein großes Thema. Oliver Uschmann, Sie schreiben Jugendromane, Satiren, Ratgeber, bedienen also ganz verschiedene Genres. Außerdem stellen Sie noch alle möglichen anderen künstlerischen Projekte auf die Beine. In Selbstvermarktungs-Seminaren lernt man immer, dass man sein Profil schärfen und sich spezialisieren soll. Was sagen Sie dazu?
Ich sage dazu, dass das Marketing die Welt zerstört. Es verkrüppelt die Kunst, es ermüdet den Geist, es traut den Menschen nichts mehr zu und macht sie dadurch kleiner. Marketing kann Großes leisten, wenn es dazu genutzt wird, ein Werk zu bewerben, dass aus sich heraus in die Welt getreten ist, weil es in die Welt treten musste und zwar so und nicht anders. Aber wenn Marketing immer mehr bereits in den Schaffensprozess selber einwirkt, entsteht nur noch epigonales, mutloses Zeug. Genau das geschieht seit Jahren zunehmend, in den Verlagen, in den Redaktionen, beim Fernsehen und im Radio, in der Musikindustrie, überall. Dabei weiß doch eigentlich jeder, dass wirklich große Werke, die Geschichte schreiben und langfristig Erfolg haben, immer Regelbrecher sind. Wahre Brocken, welche die Menschen eben nicht „da abholen, wo sie stehen“, sondern zu sich locken, in unbekannte Gefilde. Pragmatisch haben Sie Recht – es hat sich für uns nicht „gelohnt“, unser Kerngebiet der Fiktion – egal ob für Erwachsene oder junge Menschen – zu verlassen und relativ viele erzählende Sachbücher zu schreiben. Dabei steckt auch in all denen unsere ganze Liebe und Persönlichkeit sowie vor allem das eine Profil, dass sich tatsächlich durch alles zieht, was wir tun – der ernsthafte Humor, das „um die Ecke lachen“. Aber dieses „Profil“ lässt sich nicht im klassischen Sinne als Markenkern verkaufen. Man muss es entdecken, durch die Lektüre. Sich nicht abholen lassen, sondern zu uns kommen

Oliver Uschmann

Oliver Uschmann studierte Literaturwissenschaft, Linguistik und Anglistik an der Ruhr-Uni Bochum. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia Witt erschafft er Romane, Jugendliteratur und erzählende Sachbücher. Die Welt der »Hartmut und ich«-Reihe bauten sie einst sogar als bewohnbaren Themenpark auf dem Kulturgut Haus Nottbeck im Münsterland auf. Als …
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