Online-Schreibzeiten: »Da ist Magie im Raum.«

Für sich sein und trotzdem mit anderen verbunden: Gemeinsame Schreibzeiten, online oder vor Ort, machen es möglich.

Der Tag ist vollgepackt mit beruflichen und privaten Terminen. Und abends auf dem Weg ins Bett wird endgültig klar: Das Schreiben ist wieder einmal auf der Strecke geblieben. Wie so oft fehlten dafür Zeit und Ruhe. »Wir sind abgelenkt, immer mit etwas beschäftigt«, sagt Lektorin und Schreibcoach Sabine Rasch. Sie bietet die »Schreibzeit am Morgen« an, ein Online-Format der Textmanufaktur.  

Der eng getaktete Alltag mag ein Grund dafür sein, dass solche Angebote immer beliebter werden, auch bei der Textmanufaktur. Im November 2024 startete mit dem »Schreibmontag« von Lektorin und Autorin Larissa Boehning das erste Format dieser Art. Wegen der großen Nachfrage kamen zwei weitere dazu: Die »Schreibzeit am Morgen« mit Sabine Rasch von dienstags bis freitags und Daniela Eschs »Silent Writing«, alle zwei Wochen um 19:30 Uhr.

»Es braucht diese Zeiten, wo klar ist: jetzt scheibe ich.«

Für Anja Seemann aus Oldenburg passt der Abendtermin am besten. »Silent Writing« ist für sie eine Verabredung mit sich selbst. Sie schließt die Zimmertür, zündet eine Kerze an und klappt ihr Notebook auf. »Es braucht diese Zeiten, zu denen für mich und für meine Umgebung klar ist: jetzt schreibe ich«, sagt sie.  

Solche Schreibdates sind Ausdruck eines Trends, der sich im Virtuellen, aber auch darüber hinaus beobachten lässt. Seit den Corona-Jahren nutzen immer mehr Menschen digitale Angebote, um sich auszutauschen oder einfach zusammenzukommen. Zugleich wächst das Bedürfnis, sich an tatsächlichen Orten in Stille zu treffen. Menschen verabreden sich in Cafés oder Seminarräumen zum gemeinsamen Schreiben. Buchhandlungen und Bibliotheken laden zum »Silent Reading« ein. Damit begegnen die Veranstalter dem Wunsch nach Verbindung. Beim Schreiben und Lesen ist man üblicherweise allein. Hier teilt man die Zeit der Konzentration bewusst mit anderen.

Den Alltag hinter sich lassen

An öffentlichen Orten schreiben und lesen – das ist an sich nichts Neues. Schon Simone de Beauvoir schrieb in Cafés. Ein Buch der amerikanischen Autorin Natalie Goldberg trägt diesen Schreibort sogar im Titel. In den Lesesälen von Bibliotheken arbeiten Menschen still für sich und teilen dabei einen Raum. An virtuellen Schreiborten sei es ähnlich, sagt Sabine Rasch. Auch hier kommt man in konzentrierter Atmosphäre zusammen. Das kann helfen, sich selbst zu fokussieren. 

Online braucht es dafür einen klaren Rahmen und eine gute Moderation. Sabine Rasch beginnt die Schreibzeiten mit einer kurzen Atemmeditation. Die Teilnehmenden können den Alltag hinter sich lassen und im Schreibraum ankommen. Es folgt ein Schreibimpuls, der in den eigenen Text führen oder zu etwas Neuem anregen kann. Abschließend ist noch ein paar Minuten Zeit für Fragen oder um sich auszutauschen.

Bei einigen Teilnehmern steht die Online-Schreibzeit fest im Kalender. Sich zu einer festgelegten Zeit einzuloggen ist verbindlicher, als der unbestimmte Vorsatz, mal wieder zu schreiben. Die Online-Formate bieten einen Rahmen, der im Alltag oft fehlt, beobachtet die Schreibtrainerin Daniela Esch. »Man kann den Tag hinter sich lassen und sich aufs Schreiben fokussieren.«

»Wir gewinnen das Gefühl, unserer Leidenschaft gemeinsam zu folgen.«

Während manche regelmäßig an den Schreibzeiten teilnehmen, sind andere nur ab und zu dabei. Beides ist möglich, denn die Termine lassen sich bei der Textmanufaktur einzeln buchen. Das entspricht einem Bedürfnis, mit dem viele Bildungsanbieter heutzutage konfrontiert sind. Interessierte melden sich immer kurzfristiger an. Umfangreiche Kurse werden tendenziell weniger, kürzere Einheiten mehr nachgefragt.

Dennoch: Wer sich zum Schreiben trifft, tritt in Kontakt. »Durch die Schreibzeit gewinnen wir das Gefühl, unserer Leidenschaft gemeinsam zu folgen«, sagt Larissa Boehning. Wenn jeder für sich zur selben Zeit an einem kreativen Projekt arbeitet, »dann ist Magie im Raum«, so empfindet es Anja Seemann. Der virtuelle wird dann zum öffentlichen Raum, wo Gleichgesinnte zusammenkommen.

 

20.06.2024

Ann-Kathrin Marr

Ann-Kathrin Marr ist verantwortlich für den Bereich Gespräche und Interviews, sie koordiniert und moderiert die Impulsvorträge. Ann-Kathrin lebt und arbeitet als freie Journalistin in Oldenburg.
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