Nicht jeder geschriebene Satz muss nachher im Roman vorkommen

Die Autorin Rasha Khayat im Gespräch

Die Autorin und Übersetzerin Rasha Khayat über Creative Writing, unsichtbare Kritiker und die Pinnwand in ihrem Arbeitszimmer.

Viele träumen davon, einen Roman zu schreiben. Wenn ich das noch nie gemacht habe – wie fange ich dann am besten an?  
Es ist gut, schon eine Idee oder einen Baustein zu haben. Das kann eine Figur sein, die mich seit einer Weile begleitet und mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Andere haben vielleicht eine Geschichte, aber noch nicht den richtigen Ton. Damit kann man anfangen, um erstmal ins Schreiben zu kommen. 

Darf ich dann einfach drauflosschreiben – auch wenn ich noch nicht weiß, was überhaupt zu meinem Roman dazugehört?
Ich sage immer: Überproduktion ist der Schlüssel zum Erfolg. Man sollte sich da selbst gar nicht beschränken, indem man sich den Druck aufbaut, dass jeder geschriebene Satz im Roman vorkommen muss. Autorinnen und Autoren haben sehr gern die Kontrolle. Aber im Grunde muss man loslassen und sich der Geschichte oder den Figuren überlassen. 

Wie strukturiere ich meine Entwürfe, Szenen, Versatzstücke denn am besten?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Ich arbeite visuell, schreibe mir kleine Kärtchen und pinne die an meine Wand. Die bewege ich hin und her, je nachdem wo die Szene oder die Figur zum jeweiligen Zeitpunkt in meinem Roman steht. Oft sitze ich eine Stunde lang davor und lasse das auf mich wirken. Auch wenn ich den Laptop zuklappe, ist mein Roman noch präsent, das hilft mir total. Manche Autorinnen oder Autoren arbeiten mit Karteikarten oder farbigen Post-Its. Mit einer Vertrauensperson darüber zu sprechen, ist auch gut. Je nach Textform kann es außerdem sinnvoll sein, sich einen Szenenplan zu machen. Bei einem Krimi beispielsweise wird man kaum ohne so etwas auskommen. – Ich glaube, es ist wichtig, Ordnung zu schaffen. Mit welchen Methoden das am besten funktioniert, muss jede und jeder selbst herausfinden. 

Und wenn ich gar nicht mehr weiß, ob ich auf dem richtigen Weg bin oder mich vollkommen verzettelt habe?
Mir hilft dann eine zweite Person, die mit einem frischen Blick auf den Text schaut. Jemand, der sagt, was an den Anfang und was in die Mitte gehört oder auch, was ich streichen sollte. Wenn man noch keinen Lektor oder keine Agentin hat, kann das durchaus jemand aus dem privaten Umfeld sein, dem man vertraut. Zum Beispiel eine Freundin, die viel liest und einen ähnlichen Buchgeschmack hat wie ich. Nach meiner Erfahrung funktioniert es mit Familienmitgliedern nicht so gut, weil die erstmal alles toll finden, was man schreibt. Etwas kritische Distanz ist aber schon wichtig.

In Ihrem Online-Kurs „Stein auf Stein – das Einmaleins des Romans“ bei der Textmanufaktur arbeiten Sie mit der Methode des Creative Writing. Was versteht man darunter?
Das ist eine systematische Herangehensweise ans Schreiben, bei der man sich zunächst die Grundlagen einer Geschichte genauer anschaut: Wie ist die aufgebaut? Was macht eine gute Figur aus? Was für Perspektiven gibt es und wie unterscheiden die sich? Wie schreibt man einen Dialog oder wie entsteht Atmosphäre? Das sind Bausteine einer Geschichte, die man dann in Übungen vertieft. Schreiben wird im Creative Writing als eine Art Handwerk verstanden, das man erlernen kann.

Gibt es häufige Anfänger-Fehler, die immer wieder vorkommen?
Viele, die sich bisher nicht systematisch mit Literatur und dem Schreiben beschäftigt haben, erzählen erst einmal aus einer autobiographisch gefärbten Ich-Perspektive. Für einen Roman ist das nicht immer der beste Weg. Seitenlange Beschreibungen eines Ich-Erzählers oder einer Ich-Erzählerin werden schnell langweilig. Die eigenen Erlebnisse sind vielleicht persönlich interessant, geben als Stoff für einen Roman aber nicht immer genug her. Es ist wichtig, sich der Welt zu öffnen, andere Perspektiven einzunehmen und sich in andere Figuren hineinzuversetzen, statt sich nur selbst abzuschreiben.

Manchmal ist Schreiben unglaublich mühsam. Was kann man tun, wenn der ersehnte Schreibfluss sich einfach nicht einstellen will? 
Dass man zu viel denkt und nicht richtig in den Fluss kommt, das kenne ich auch sehr gut. Seit gefühlt hundert Jahren arbeite ich an meinem zweiten Roman und habe phasenweise immer wieder gekämpft. Ganz wichtig für mich ist eine Routine. Ich setze mich morgens hin und schreibe. Oder wenn ich nicht ins Schreiben komme, dann lese ich das, was ich am Vortag geschrieben habe. Manchmal merke ich, dass heute nichts passiert. Aber manchmal passiert eben auch etwas, und es geht weiter. Auch diese Zeiten, in denen man kämpft, sollte man sich erlauben. Ich konnte zum Beispiel während des ersten Corona-Halbjahres gar nicht schreiben. Ich hatte das Gefühl, dass Romanschreiben gerade das letzte ist, was die Welt braucht.

Und wie ist es heute?
Die Corona-Zeit hat das Schreiben für mich total verändert. Vorher war die Maschine 'Literaturbetrieb' in meinem Kopf so groß geworden. Im ersten Lockdown spielte er dann plötzlich keine Rolle mehr. Und dieser unsichtbare Pulk aus Kritikern, Lektoren, Kollegen, der da gefühlt auf meinem Rücken saß und mir auf den Bildschirm geguckt hat, ist auch nicht wieder zurückgekommen. Inzwischen habe ich viele mediale Kanäle auf stumm gestellt, verfolge die Debatten im Feuilleton nicht mehr, nutze kein Social Media. Das hilft mir total. Ich traue mich mehr und schreibe, weil es mir Spaß macht. Das ist auch mal wieder ein schönes Gefühl.

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