Ruth Olshan
Ich glaube nicht an Schreibblockaden
Ruth Olshan ist Regisseurin und Drehbuchautorin. Dramaturgiemodelle wie die Heldenreise können beim Schreiben helfen, sagt sie. Aber mindestens genauso wichtig ist das kreative Spiel mit Sprache. Ein Gespräch über unser verborgenes Potenzial und wie wir ihm auf die Spur kommen.
Ruth Olshan, im September beginnt Ihr Online-Kurs „Schabernack und Struktur“. Wie wichtig ist „Schabernack“, also das Herumspielen beim Schreiben?
Das ist sehr wichtig, weil wir uns damit in einen freien Raum begeben. Ideen sind oft sehr vage oder sehr groß. Vielleicht wollen wir von einer Figur erzählen, wissen aber nur sehr wenig über die Welt und die Handlung der Geschichte. Oder wir haben ein bestimmtes Thema, das uns umtreibt und brauchen eine Form dafür. Über das Spielen erlauben wir uns den Zugang zu allem, was unbewusst in uns schlummert. Das ist keine Zauberei, sondern wir öffnen eine Tür zu dem, was wir gesehen, gehört, gelesen oder erlebt haben. Wir öffnen also die Tür zu dem Potenzial, das in uns verborgen ist.
Wie kommen wir diesem Potenzial spielerisch auf die Spur?
Dafür braucht es eine Art Spiel-Anleitung, denke ich. Im Seminar führe ich mit Übungen in das Thema, die Figur oder die Welt hinein. Wir bauen zum Beispiel aus drei Eigenschaften eine Figur. Oder wir lassen sie durch eine uns bekannte Welt gehen und beobachten, wie sie reagiert. Außerdem schaue ich mit jeder Teilnehmerin, jedem Teilnehmer genau hin, was an Ideen, an Figur, Welt und Handlung schon da ist. Oft ist das eine Menge. Dann geht es darum zu sortieren.
Kommt da die Struktur ins Spiel?
Ja, genau. Daramaturgiemodelle können helfen, das vorhandene Material zu analysieren und zu ordnen. Es gibt ja unzählige Modelle wie das Dreiakt-, das Vierakt-, das Fünfaktmodell, das Sieben-Punkte-System oder die Heldenreise. Im Seminar stelle ich mehrere vor und vergleiche sie in ihrem Ablauf. Dann sehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Man kann die Modelle übereinanderlegen, nur die Einteilungen unterscheiden sich etwas. Im nächsten Schritt kann man schauen, welcher Ansatz einen anspricht und damit an den eigenen Stoff herangehen.
Sollte man mit einer Kreativübung anfangen, dann ordnen und zum Schluss schreiben?
Es ist eher ein Hin- und Her. Im Seminar wechsle ich zwischen thematischen Impulsen und kreativen Übungen. Außerdem ist es mir sehr wichtig, das jeweils Eigene freizulegen: Wie ticke ich als Autorin, als Autor? Was ist meine eigene Sprache? Ein Dramaturgiemodell ist so etwas wie ein Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger. Es kann helfen, die Informationen im Text richtig anzuordnen, zum Beispiel Spannungsbögen zu bauen. Genauso wichtig ist es aber, dass „Wie“ mitzudenken, die sprachliche Ebene. Da spielt dann die eigene künstlerische Handschrift mit hinein. Kreatives Chaos und Sortierung sind die beiden Prinzipien beim Schreiben.
Dramaturgiemodelle kommen aus der Theater- und Filmwelt. Eignen sie sich auch fürs Romanschreiben?
Jede Geschichte – ob Bühnenstück oder Roman – hat eine Dramaturgie. In der Regel gibt es einen Spannungsbogen, einen Wendepunkt, meistens eine Auflösung. Wenn ich im Genre-Bereich schreibe, also zum Beispiel einen Liebesroman, einen Krimi, Abenteuer oder Fantasy, dann komme ich mit Dramaturgiemodellen ziemlich weit. Bei sehr literarischen Texten gibt es nicht immer einen Helden oder eine Heldin, die am Ende etwas gelernt haben. Aber auch hier können Modelle helfen, den Aufbau zu verstehen und zu gestalten. Anders ist es mitunter bei Texten, die eher über innerliche Zustände erzählen wollen und sich nicht in erster Linie an einer Handlung orientieren.
Kann ein Dramaturgiemodell beim Schreiben auch einschränken oder sogar blockieren?
Ja, es gibt durchaus Autorinnen und Autoren, die von solchen Modellen nichts wissen wollen. Denen sage ich: „Kümmere dich nicht darum, schreib einfach, wie du schreiben möchtest.“ Wenn man diese Texte analysiert, sieht man, dass trotzdem Regeln eingehalten werden. Oft sind das Autorinnen oder Autoren, die sehr intuitiv schreiben, aber auch schon sehr viel übers Schreiben wissen und sich in ihrem Stil sicher sind. Also: Dramaturgiemodelle sind kein Muss. Sie können helfen, passen aber nicht für jede und jeden.
Wenn ich beim Schreiben feststecke, wie komme ich dann wieder in den Fluss?
Ich persönlich glaube nicht an Schreibblockaden. Ich glaube an Selbstbewusstseins-Blockaden. Eigentlich geht es ja um Gedanken wie: „Alles, was ich schreibe ist doof, darum schreib ich lieber nicht.“ Oder: „Mir fällt nichts ein – zumindest nichts, das gut genug ist.“
Wenn man diesen Anspruch an sich selbst mutig zur Seite schafft und drauflosschreibt, dann hat man das weiße Blatt gefüllt. Ob man mit dem Ergebnis etwas anfangen kann, ist eine andere Frage. Meiner Erfahrung nach findet man in diesen Texten aber fast immer etwas – und sei es nur eine Kleinigkeit – das in die richtige Richtung führt. Um es offenzulegen, braucht es aber die genaue Analyse und nicht dieses Wegwischen nach dem Motto: Alles ist schlecht. Zu schreiben und kreativ zu sein, ohne sich ständig zu vergleichen, ist enorm wichtig. Denn Schreiben ist wie ein Muskel, der trainiert werden will. Es geht darum, sich aufs eigene Schreiben einzulassen und sich auch daran zu freuen. Denn Geschichten sind ja etwas Wunderbares!
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