

Schreiben, immer morgens um sieben
Viele Autoren schwören auf Alltagsroutinen, andere halten davon nichts.
Thomas Mann schrieb täglich, meistens an seinem sorgfältig eingerichteten Schreibtisch. Auch der Arbeitstag von Han Kang, Trägerin des Literaturnobelpreises 2024, ist klar strukturiert: Sie schreibt immer vormittags, geht nachmittags spazieren und abends früh zu Bett, so die südkoreanische Autorin in einem Interview.
Man muss nicht Nobelpreisträger sein, um eine eigene Schreibroutine zu entwickeln. Viele Autorinnen und Autoren empfinden eine klare Struktur als hilfreich. Um 4 Uhr morgens aufstehen, wie Haruki Murakami, noch im Bett die ersten Zeilen schreiben wie Doris Dörrie oder immer abends eine Schreibübung einbauen, wenn die Kinder im Bett sind, wie Melanie: Das kann helfen, beim Schreiben dranzubleiben. Melanie hat auf die Instagram-Umfrage der Textmanufaktur zur persönlichen Schreibroutine geantwortet. Oft schreibe sie nur fünf Minuten, aber das regelmäßig. So kann Melanie ihre Kreativität wie „auf Knopfdruck von der Leine zu lassen“, wenn sie an einem längeren Text arbeitet.
Schreibroutinen strukturieren den Alltag
Routinen können das Leben einfacher machen. Einer australischen Studie zufolge dauert es ungefähr neun Wochen bis sie eingeübt sind und zum Beispiel beim regelmäßigen Schreiben helfen. Wer sich morgens immer zur gleichen Zeit hinsetzt, muss nicht jedes Mal neu darüber nachdenken, ob die Stimmung passt. Sondern er fängt – im besten Fall – einfach an.
Die Krimi-Autorin Sandra Åslund ist ein großer Fan solcher Routinen. „Sie sind essentiell für meine Produktivität und auch für meine körperliche und seelische Gesundheit“, sagt die Autorin und beginnt jeden Morgen mit ein paar kleinen Ritualen wie zum Beispiel dem ayurvedischen Ölziehen, bei dem der Mund mit Pflanzenöl ausgespült wird. „So komme ich bei mir selbst an und kann ausgeglichener in den Tag starten, als wenn ich zuerst aufs Handy schaue.“ Auch ihr Arbeitstag ist klar strukturiert. Zuerst wird geschrieben, erst danach öffnet Sandra Åslund ihre E-Mails und erledigt Bürokram. So stellt sich morgens bereits das Gefühl ein, etwas geschafft zu haben.
Mit Notizbuch in der Straßenbahn
Seit vier Jahren ist Sandra Åslund hauptberuflich Autorin. Und seitdem hilft ihr das Tagesgerüst, ihren Schreiballtag zu strukturieren. Vorher sah ihr Leben anders aus. Sie musste das Schreiben zwischen Job und Familien unterbringen, wie die allermeisten ihrer Kollegen. Auch dabei half eine Routine. Die Szenenentwürfe für ihr zweites Buch schrieb die Krimi-Autorin regelmäßig in der Straßenbahn, auf dem Weg zur Arbeit. Abends wenn die Tochter schlief, wuchs aus den Stichworten Stück für Stück das Manuskript.
Aber was passiert, wenn in der vorgesehen Schreibzeit einfach nichts passiert, wenn Papier oder Bildschirm leer bleiben? Routinen sollten nicht zum Zwang werden, meint Sandra Åslund. „Ich finde es wichtig, die Leichtigkeit zu bewahren und auch mal von der Routine abzuweichen.“ Wenn der Schreibfluss stockt, hilft manchen ein langer Spaziergang. Andere hören Musik oder treiben Sport, um auf andere Gedanken zu kommen. Auch das kann eine feste Gewohnheit werden, eine Routine für Schreibkrisen, die wiederum Halt gibt. Und manchmal befeuert der Ausbruch aus dem Alltagsplan auch die Kreativität und bringt neuen Schwung.
„Meine Routine ist, dass ich keine habe.“
Wie wichtig es ist, „die Muse zu füttern“, beschreibt Jens in seiner Antwort auf die Instagram-Umfrage. Bevor er mit dem Schreiben beginnt, sammelt er Eindrücke, beobachtet, entwickelt Ideen. „Irgendwann staut sich dann etwas an, das ich zu Papier bringen muss.“ Für ihn geht das nicht zu einer festen, vorher bestimmten Zeit am Tag, sondern dann, wenn es eben dran ist – und wenn im Alltag die Zeit dafür bleibt. Ähnlich geht es Sabine. „Meine Routine ist, dass ich keine habe“, bekennt sie freimütig, ebenfalls auf Instagram. Manchmal schreibt sie nachts, frühmorgens oder an einem freien Nachmittag nach dem Joggen. Dann vergisst sie schonmal alles andere – bis die Kinder heimkommen und fragen, wo das Abendessen bleibt.
Sabine schreibt, weil es Spaß macht, sie es kaum erwarten kann. Und das ist der wohl wichtigste Antrieb, um kreativ zu bleiben. Bei allen hilfreichen Routinen tut es gut, sich das bewusst zu machen: Schreiben ist etwas Wunderbares und ich schreibe, weil ich es liebe. Sie daran immer wieder zu erinnern, tut einfach gut – ob mit oder ohne feste Routine.
(Ann-Kathrin Marr)

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