Für die ersten 130 Seiten habe ich viele Jahre gebraucht

Der Autor Sebastian Stuertz im Gespräch

Der erste Roman – und gleich ein Spitzentitel! Sebastian Stuertz fühlt sich manchmal wie im Märchen. Denn als Songschreiber war er 25 Jahre lang eher mäßig erfolgreich. Im Interview spricht er über tolle Momente, das Hochstapler-Syndrom und wie er 700 Seiten geschafft hat. Weil Siezen ihn an Arztbesuche erinnert, führen wir das Gespräch natürlich per Du.

Sebastian Stuertz, Mitte März erscheint Dein erster Roman, „Das eiserne Herz des Charlie Berg“. Was ist das für ein Gefühl?
Irgendwann mal einen Roman zu veröffentlichen ist tatsächlich ein Kindheitstraum von mir gewesen. Allerdings einer von der Sorte „zum Mond fliegen“ oder „Kaiser von China werden“ – also etwas, das ich mein Leben lang für sehr unrealistisch hielt. Zwar habe ich immer geschrieben, Tagebuch und Songtexte und auch mal Geschichten oder sogar Gedichte – meine meiste kreative Energie habe ich aber in die Musik gesteckt. So habe ich zwar im Laufe der Jahre mit verschiedenen Bands Platten veröffentlicht, aber nichts davon war in einer Form erfolgreich, wie ich es gerne gehabt hätte. Es blieb, wenn man ehrlich ist, ein Hobby. Und keine LP- oder CD-Veröffentlichung fühlte sich so an, wie jetzt das eigene Buch in der Hand zu halten. 

Du erzählst aus der Perspektive von Charlie Berg, einem jungen Mann mit schwachem Herz und feiner Nase, der endlich von zu Hause ausziehen will. Wie wurde die Idee zu der Geschichte geboren? 
Ich wollte unbedingt die aufwühlende, lustige, emotionale und chaotische Zeit Anfang der 90er Jahre verarbeiten. Diese großartige Phase nach dem Abitur, wenn die Weichen noch nicht gestellt sind und alles möglich scheint. Das ganze Leben hat noch etwas Rauschhaftes. Wobei mein Ich-Erzähler Charlie gar nicht trinkt und auch die Finger von allen Drogen lässt, am Anfang sogar von Freundschaften und von der Liebe nichts wissen will. Sein sehr feiner Geruchssinn, der unter Stress so ausgeprägt wie der eines Hundes wird, ist ihm Rausch genug.

Dein Debüt hat über 700 Seiten. Wann hast Du das alles geschrieben?
Für die ersten 130 Seiten habe ich viele Jahre gebraucht. Aber ich habe da nicht besonders stringent dran gearbeitet, meist nur einmal im Jahr, zwischen Weihnachten und Neujahr. Vieles war auch echt schlecht, ich habe eigentlich währenddessen erst Schreiben gelernt und das meiste wieder gelöscht. Irgendwann wollte ich aber ernst machen, habe viele Schreibratgeber gelesen, Creative Writing Podcasts gehört und bin im Juni 2018 zur Autorenmesse narrativa gefahren. Dort saß ich in einer Pitching Session mit der Literaturagentin Dorothee Schmidt und habe meine Romanidee in der Runde vorgestellt. Dorothee hat anschließend das Manuskript angefordert, gelesen und wollte mich unter Vertrag nehmen. Mit dieser Sicherheit im Rücken habe ich es noch bei anderen Agenturen versucht und bin schließlich bei Elisabeth Ruge gelandet. Ihr begeistertes Feedback hat mich dann vollends motiviert. Schon auf der Buchmesse im Oktober 2018 wollte sie das nicht mal halb fertige Buch anbieten. Ich habe also noch den zweiten von fünf geplanten Teilen im Sommerurlaub fertig geschrieben, sodass ich 330 Seiten hatte. Das hat sie dann diversen Verlagen vorgelegt – mit Erfolg. Mehrere Häuser hatten Interesse, btb bekam den Zuschlag, ich einen vernünftigen Vorschuss. So konnte ich mir die Zeit nehmen und das Buch bis Mai 2019 fertig schreiben. Vorher konnte ich nicht einschätzen, ob das, was ich da mache, überhaupt Sinn ergibt. Jetzt wusste ich, dass ich in genau meinem Sound weitermachen konnte und wurde sogar noch mutiger. Ich finde, das merkt man dem Buch auch an – zum Ende hin wird es immer bekloppter.

Gab es für Dich so etwas wie eine Initialzündung, einen Moment in dem Du gedacht hast: Jetzt bin ich „richtig“ Schriftsteller? 
Nein, „richtig Schriftsteller“ bin ich erst, wenn ich gut und sicher davon leben kann. Als ich kurz nach der Vertragsunterzeichnung bei btb auch noch den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg bekam, dachte ich: Okay, hier geht vielleicht was. Durch die damit einhergehende Veröffentlichung meines Romananfangs im Hamburger Literaturjahrbuch ZIEGEL habe ich dann viele Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg kennen- und schätzen gelernt. Weil ich nach ein paar gemeinsamen ZIEGEL-Lesungen und -Feiern große Sehnsucht hatte, diese Leute wiederzutreffen, habe ich mit meiner Frau Tara das „Hamburger Autor*innentrinken“ initiiert, eine Art Privatsalon für Literaturmenschen. Insofern ist das vielleicht der Moment gewesen, der sich am ehesten nach „richtig Schriftsteller“ anfühlte: Das erste „Autor*innentrinken“ bei uns im Atelier, mit diesen etablierten Autorinnen und Autoren, Debütanten aber auch absoluten Neulingen wie mir. 

Was war der Tiefpunkt und was der tollste Moment auf dem Weg vom ersten Satz zum fertigen Buch?
Ich habe tatsächlich keinen Tiefpunkt gehabt. Ich leide zwar manchmal am Hochstapler-Syndrom, so heißt die Angst davor, dass irgendwann auffliegen könnte, dass man ja eigentlich nichts kann. Besonders mich als Quereinsteiger quälte die Sorge, dass ich mit meinem ersten Teil nur zufällig den Ton getroffen habe, und so hatte ich richtig Bammel, als ich meiner Agentin den zweiten Teil schicken musste, von wegen … nee … also, da müssen wir noch mal ran …  doch das kam nicht. Auch nicht von Verlagsseite. Und spätestes nach dem Förderpreis waren erstmal alle Selbstzweifel von mir abgefallen. Seitdem surfe ich die Serotoninwelle, es fühlt sich manchmal an wie ein Märchen. Das irrsinnigste und natürlich schmeichelhafteste war sicherlich, als es auf der Buchmesse in Frankfurt zu einer Auktion kam, und sich die Verlage gegenseitig überboten haben, weil sie mein Buch haben wollten – mehr warme Dusche fürs Künstlerego geht nicht. Vor allem wenn man über 25 Jahre mehr oder minder erfolglos Musik geschrieben und veröffentlicht hat.

Hast Du einen Tipp für Debütautoren, die noch keinen Verlag gefunden haben?
Der erste Schritt: Eine Agentur finden. Natürlich hat man sich vorher intensiv über die Agentur informiert – passt sie überhaupt zum Buch? Vielleicht liest man auch ein paar der Autoren oder Autorinnen, die dort unter Vertrag sind, bestenfalls gibt es gewisse Ähnlichkeiten zu irgendjemandem und man kann sagen „mein Buch geht ein bisschen in die Richtung wie Autorin XY, nur mit Zombies statt Vampiren …“. Ich bin ja schon viele Jahre Freiberufler, da habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kaltakquise eigentlich nur funktioniert, wenn man zumindest miteinander telefoniert. Man sollte sich also trauen, bei fremden Menschen anzurufen – da habe ich glücklicherweise kein Problem mit. Ein nettes Gespräch, das Exposé in branchenüblicher Form und Länge und die ersten vier Seiten sind fast noch wichtiger als das Buch, denn ein guter Agent hat ein Gespür, – der merkt, wenn jemand schreiben kann. Wenn die Geschichte im Aufbau noch hakt, ist das nicht schlimm, kein erster Entwurf ist perfekt. Eine gute Agentur wird mit einem Autor bzw. Autorin noch daran feilen, bevor es einem Verlag angeboten wird. Das macht der Agent aber nur, wenn er Lust hat, mit der Person überhaupt zu arbeiten, und deshalb muss man nett sein, und ich weiß nicht, ob man das lernen kann, wenn man nicht von Natur aus gerne nett ist. Und wenn es nach 25 Jahren immer noch nicht geklappt hat, sollte man vielleicht was anderes probieren. Musik zum Beispiel.

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