Lyrik ist mein Ventil

Autorin Sünje Lewejohann im Gespräch

Die Autorin Sünje Lewejohann sagt, warum Lyrik für sie immer geht, welche Rolle Tricks und Technik beim Gedichteschreiben spielen und wie man den Schritt zum eigenen Buch schaffen kann.

Sünje Lewejohann, Sie haben einen Roman veröffentlicht und mehrere Lyrikbände. Wie sehen Sie sich selbst – als Autorin und Schriftstellerin – oder vor allem als Lyrikerin?
Als all das. Ich habe gerne mehrere Eisen im Feuer. Es ändert sich mit den Projekten, an denen ich arbeite. Lyrik ist das, was bei mir immer geht. Die kann ich im Schlaf schreiben, wenn ich undiszipliniert bin, wenn ich auf nichts anderes Lust habe oder wenn ich für eine Sache brenne. Lyrik ist mein Ventil. Vielleicht, weil sie so spielerisch ist und im Grunde alles sein kann. Aber wenn ich gerade sehr fleißig bin, dann sehe ich mich durchaus auch als Autorin anderer Texte:  Kinderbücher, Essays. Ich wage mich sogar gerade wieder an einen Roman. Mal sehen.

Wer gern schreibt, hat oft schonmal Gedichte verfasst. Die eigenen Verse aus der Teenagerzeit sind vielen im Nachhinein eher peinlich. Was macht ein gutes Gedicht aus?
Das ist eine der wiederkehrenden Fragen, die in meinen Kursen oft und ausgiebig diskutiert wird. Es gibt darauf keine Pauschalantwort. Natürlich kann man an dieser Stelle auf Kitsch und Klischee verweisen, die ja immer gerne vermieden werden. Und in den eigenen Teenagergedichten stören einen im Nachgang oft die zu großen Gesten, der Pathos und der Weltschmerz. Aber dann wiederum gibt es Texte, die genau damit arbeiten und die großartig sind. Je mehr man schreibt und sich mit dem Sujet der Lyrik beschäftigt, je mehr Lyrik man liest, sich darüber austauscht, Texte bespricht und besprechen lässt, umso mehr entwickelt man auch einen Seismographen dafür, was ein gutes Gedicht ist und ab wann es stimmig ist.

Für Prosaautoren gibt es unzählige Ratgeber fürs gute Schreiben. Wie ist das bei Lyrik – hilft da Technik weiter?
Natürlich! Es ist wie in jeder Kunstrichtung: üben, weiterschreiben, lesen. Wenn man ins Stocken gerät, gibt es viele Tricks und Tipps, mit denen man wieder zum Schreiben zurückfindet. Wer es ganz streng mag, kann sich auch am klassischen Aufbau eines Gedichtes orientieren, kann sich an Oden und Sonetten austoben, Haikus und Bildgedichte schreiben. Man kann Nachahmen, Collagen machen, Gedichte aus Prosatexten gestalten. Zusätzlich gibt es auch viele Übungen und Möglichkeiten um Kreativität zu entfesseln, die sind dann natürlich genreübergreifend.

Wie fange ich beim Gedichtschreiben am besten an?
Mit dem Schreibimpuls. Das kann alles Mögliche sein: zum Beispiel wenn wir uns von anderen Texten inspirieren lassen oder ein Lied hören, das etwas in uns auslöst, ein Gesprächsfetzen auf der Straße, eine Textnachricht, die etwas mit uns macht, ein Gefühl oder ein ganz bestimmtes Licht. Wichtig ist, dass wir diesen Impuls wahrnehmen und ihm folgen. Davon ausgehend sollte sich das Gedicht entwickeln, sollten die Worte fließen. Das kann ein längerer Prozess sein, manchmal entsteht das Gedicht aber in einem Rutsch. Auch hier gilt: Mit ein wenig Übung erkennen wir diese Impulse irgendwann überall, dann kann plötzlich aus allem ein Gedicht werden.

Was sind häufige Anfängerfehler?
Anfängerinnen und Anfängern passiert es sehr häufig, dass sie sich im Text verlieren. Die Texte werden zu lang, zerfasern und sind zu unpräzise. Oft tappen Anfängerinnen und Anfänger auch in die Kitsch- und Klischeefallen, weil sie sich beispielsweise an bekannten – und oft romantischen – Gedichten orientieren und sich dahinter verstecken. Ich erlebe in meinen Kursen immer wieder, wie Autorinnen und Autoren im Laufe des Schreibens zu einem eigenen Ton finden, wie sie ihren eigenen Stil entwickeln und immer präziser werden. Wie sie genau das in den Vordergrund holen, was sie selbst als Person besonders macht; den ganz eigenen Blick auf die Welt. Das braucht oft eine große Portion Mut.

Wie gehe ich am besten vor, wenn ich veröffentlichen möchte?
Natürlich kann man sich gleich an einen Verlag wenden, aber die Erfolgsaussichten sind gering. Nur zwei Prozent aller unaufgefordert eingereichten Manuskripte schaffen es zur Veröffentlichung. Und bei der Lyrik ist es noch mal deutlich weniger. Wichtig ist es, aus diesem Kreis der anonymen Einsendungen herauszutreten. Das kann man erreichen, wenn man vielleicht vorher schon etwas in Zeitschriften oder Anthologien veröffentlicht hat, das Jahrbuch der Lyrik ist zum Beispiel so ein Ritterschlag. Auch Literaturpreise sind ein guter Weg, um auf sich aufmerksam zu machen.

Auf dem Buchmarkt führen Gedichte ein Nischendasein. Ist es möglich, von der Lyrik zu leben?
Es ist zwar nicht zu erwarten, dass man einen Gedichtband veröffentlicht und dann von dem Verkauf lebt, aber was drumherum passiert, macht vieles möglich. Damit meine ich Lesungen, Festivals, Stipendien, Übersetzungen, Hörbücher. Es braucht viel Kreativität und Ideenreichtum, aber dann ist nichts ausgeschlossen.

Haben Sie einen Tipp für Autorinnen und Autoren, die Lyrik schreiben, sich damit aber noch nicht an die Öffentlichkeit trauen?
Das ganze erst einmal an einem Safe Place testen, es vielleicht der besten Freundin zeigen. Wenn man feststellt, dass Menschen begeistert oder beeindruckt reagieren, dann kann es leichter sein, sich zu öffnen. Und es muss ja auch nicht gleich die große Lesung sein. Vielleicht die Texte zunächst mal an eine Zeitschrift schicken, vielleicht ein Pseudonym benutzen. Es laut für sich selbst lesen und hinhorchen, wie sich das anfühlt. Und dann ganz langsam steigern. Einen Lyrikaccount unter einem Künstlernamen auf Instagram erstellen und mal gucken, was für Feedback kommt. Und irgendwann braucht es dann wohl den Sprung ins kalte Wasser. Davon sollte man sich nicht abhalten lassen; es geht so viel und man kann so viel mehr, als man denkt.

Sünje Lewejohann

Sünje Lewejohann, geb. 1972 in Flensburg, veröffentlichte 2005 den Roman »Am Sonntag will Gott zu Atem kommen« im DuMont Verlag und 2013 den Gedichtband »in den hirschen« bei der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Zuletzt erschien in der parasitenpresse »als ich noch ein tier war« (2022). 2010 erhielt sie beim Lyrikpreis Meran den …
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