Literatur an Grenzen und Übergängen

Das Wort Gespenst stammt von spenst oder spanst : Verlockung. Im Mittelalter stand es für „Baugerüst“. Verführung und Konstruktion, zeigt Ulrike Draesner in ihren Poetik-Vorlesungen, haben mehr miteinander und mehr mit Literatur zu tun, als man denkt.

Von wann?
2018

Worüber?
Über den Umgang mit geerbten Ängsten und das Erschreiben von Erfahrungen, die man selbst nie machen wird. Über den Körper als Resonanzraum. Übers Entwerfen und Sich-Selbst-Überraschen.

Für wen?
Für Neugierige.

Kernthese
Gespenster wohnen an Übergängen: zwischen dem sicher Gewussten und der unzuverlässigen Erinnerung, dem Sagbaren und dem Tabu. An diesen Grenzen entsteht Literatur, gehalten und geweitet von dem Netz des Systems Sprache.

Fazit
Die Vorlesungen schöpfen aus reichem Wissen über Literaturgeschichte, Linguistik und Psychologie. Was man dabei nicht erwarten darf, sind Definitionen von Gattungsbegriffen. Ebenso wenig gibt Draesner eine Handreichung, wie Novelle, Essay und Roman zu verfassen sind. Sie offenbart vielmehr ihren Arbeitsprozess, ihre Schmerzpunkte und den Stoff einer Familiengeschichte, die ihr in jeder Textsorte wieder begegnet. Sie geht dem Klang und dem Ursprung der Worte nach und fragt immer wieder neu: Welcher Stoff braucht welche Sprache? Welche Gattung zielt auf welche Körperregion? Dabei referiert Draesner nicht nur über das Zustandekommen von formalen Entscheidungen und Stoffentwicklung. Ihre Texte arbeiten und spielen selbst mit Form und Perspektive: Im Essay-Kapitel etwa berichtet ein keineswegs neutrales Ich unter anderem über eine Figur namens „Draesner.“ Auch sonst bersten die Texte von überraschenden Sprachbildern und Assoziationen. Das macht Lust am Lesen und ebenso darauf, sich selbst zu versuchen.

Ulrike Draesner: Grammatik der Gespenster, Reclam 2018 (antiquarisch erhältlich und in Bibliotheken verfügbar)

 (Nina Bußmann)

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