Auch alltägliche Ideen können begeistern
Die Literaturagentin Ulrike Schuldes im Gespräch
Literaturagentin Ulrike Schuldes erzählt im Interview, wie aus einfachen Ideen große Geschichten werden können und warum es nichts bringt, Trends hinterherzuschreiben.
Frau Schuldes, Sie waren Lektorin und Programmverantwortliche für Kinder- und Jugendbücher, unter anderem haben Sie die deutschsprachigen Ausgaben von „Harry Potter“ lektoriert. Inzwischen arbeiten Sie als Literaturagentin. Was braucht eine Idee, um Sie zu begeistern?
Sie muss natürlich außergewöhnlich sein. (lacht) Eine Idee, die mich begeistert, muss etwas Originelles haben, etwas Einzig- oder auch Eigenartiges, das mich berührt, denn Lektorieren ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Um mein Interesse zu wecken, muss eine Autorin aber nicht unbedingt eine neue Welt erfinden. Auch ganz einfache, alltägliche Ideen können begeistern, wenn sie außergewöhnlich erzählt sind. Ich denke dabei gern an Hilke Rosenbooms Werk „Ein Pferd namens Milchmann“: Eines Morgens steht ein Pferd auf Hermans Terrasse. Allein aus dieser kleinen Begegnung heraus entsteht bei Hilke Rosenboom eine große Geschichte. Entscheidend ist oft also nicht das Was, sondern das Wie. Auch eine Idee, die selbst nicht besonders originell ist, kann begeistern, wenn sie auf die richtige Weise erzählt ist.
Was muss eine Idee außerdem noch mitbringen, um aus ihr eines Tages einen Bestseller zu machen?
Bestseller sprechen eine sehr breite Zielgruppe an und überschreiten häufig Genregrenzen. Kinder- oder Jugendbücher, die zu Bestsellern werden, sind oft so spannend, vielschichtig oder fantastisch, dass auch Erwachsene, vor allem natürlich die mitlesenden Eltern, sie verschlingen. Das ist bei „Harry Potter“ der Fall und auch bei Stephenie Meyers „Bis(s)“-Reihe. Es braucht viel Glück, um eine Geschichte zu einem Bestseller zu machen. Die Idee muss zum richtigen Zeitpunkt kommen, und selbst wenn man diesen richtigen Zeitpunkt erwischt, gibt es noch eine Vielzahl anderer Aspekte, die entscheidend sind – ein engagierter Verlag, ein begeisterter Agent und ein begeisterter Lektor, der richtige Programmplatz. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten hinter dem Werk stehen und es vorwärtsbringen. Leider garantiert aber auch das noch keinen Bestseller. Es gehört einfach eine gehörige Portion Glück dazu.
Gibt es Tricks oder Methoden, die helfen, wenn die nächste Idee einfach nicht kommen will? Was können AutorInnen tun, wenn ihnen partout nichts einfallen mag?
Eine Schreibpause ist in solchen Situationen immer empfehlenswert. Im Kinderbuchbereich würde ich dem Autor außerdem den Rat geben, sich wenn möglich unter die Zielgruppe zu mischen, einen Ausflug mit den eigenen Kindern zu unternehmen oder die Kinderbuchabteilung in der nächsten Buchhandlung zu besuchen. Manche Autoren sitzen in ihrem Zimmer und warten darauf, dass ihnen irgendwann etwas einfällt, aber so funktioniert es meistens nicht. Autoren brauchen ein Gefühl für die Lebenswelten und Wünsche ihrer Zielgruppe. Wenn sie sich damit vertraut machen und auch den Markt mit den Klassikern und aktuellen Themen nicht aus dem Blick verlieren, stoßen sie sicher auf Anregungen, ohne dabei eine bereits bestehende Idee zu kopieren. Generell gilt: Gehen Sie raus, kommen Sie mit Ihrer Zielgruppe in Kontakt, lesen Sie und vergessen Sie auch nicht die anderen Medien, die für Ihre Zielgruppe von Bedeutung sind.
Wenn die Idee einmal da ist, erschließt sich ihr Potenzial nicht immer sofort. Was raten Sie AutorInnen, die unsicher sind, ob der Stoff, den sie für ihr nächstes Werk ausgesucht haben, genügend hergibt?
Die meisten Stoffe geben genug her für einen Roman, wenn man sie nur gut genug erzählt. Wichtig ist, dass der Autor über ausreichend Talent und Erzählfreude verfügt, um aus einem möglicherweise kleinen Einfall eine große Geschichte zu machen. Am besten, Sie pitchen Ihre Idee vor Ihrem Agenten, Ihrer Agentin oder einem Schriftstellerkollegen oder Sie schreiben ein Exposé zu Ihrem Projekt. Können Sie ausholen und die Geschichte immer weiter fortführen, entwickelt sich etwas daraus? Dann scheint sie Potenzial zu haben.
Inwiefern können Sie in Ihrer Rolle als Literaturagentin die AutorInnen, die Sie betreuen, schon in dieser Phase der Stoffentwicklung unterstützen?
Wir diskutieren die Stoffe natürlich mit unseren Autoren, manchmal geben wir auch selbst Anregungen oder schlagen eine neue Idee vor. Einige Agenten waren früher als Lektoren tätig und können auf ihre Erfahrung zurückgreifen, um Stoffe einzuschätzen. Außerdem ist es unsere Aufgabe, den Markt, die Anforderungen der Verlage und die Bedürfnisse der Zielgruppen im Auge zu behalten, weshalb wir unsere Autoren bei der Einordnung eines Themas in der Regel gut unterstützen können. Wie genau diese Unterstützung aussieht, entscheidet der Autor. Manche arbeiten lieber selbstständig und liegen mit ihrem Manuskript auch ohne unseren Rat genau richtig. Andere machen sich gerade im Kinderbuch schon früh viele Gedanken über den Aufbau und die Entwicklung ihres Stoffes und schätzen es, dass wir ihnen dabei zur Seite stehen.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach Ideen – oder Schemata –, die im Kinderbuch immer funktionieren, oder welche, von denen man besser die Finger lassen sollte?
Prinzipiell ist es immer gut, nah bei den Kindern zu schreiben, also Themen zu wählen, die sie beschäftigen oder ihren Alltag betreffen. Freundschaft beispielsweise wird immer ein wichtiges Thema im Kinderbuch sein, ebenso wie die Schule oder Tiere. Aber wie gesagt: Es kommt besonders auf das Wie an. Eine ganz einfache Idee kann zu einer großartigen Geschichte werden. Andererseits kann ein schlechter Schreiber selbst eine großartige Idee zunichtemachen.
Wie sehr sollte eine Autorin oder ein Autor sich bei der Ideensuche davon beeinflussen lassen, welche Themen gerade gefragt sind?
Ein Autor sollte ein Thema wählen, das ihm persönlich gut liegt. Es bringt nichts, einem Trend hinterherzuschreiben, der meistens schon wieder vorbei ist, bevor das Buch erscheint. Lassen Sie sich davon also bitte nicht beeinflussen. Schreiben Sie nichts, das Sie in Wahrheit gar nicht interessiert. Auch nicht, wenn es gerade im Trend liegt.
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