Man muss sich beim Schreiben selbst überraschen

Der Verleger Wolfgang Hörner im Gespräch

Galiani-Verleger Wolfgang Hörner über faszinierende Bücher, die eigentlich scheitern müssten, über Originalität und warum Sprache das Allerwichtigste ist, aber für einen guten Roman nicht ausreicht.

Galiani versteht sich als Verlag, bei dem Entdeckungen zu machen sind. Was muss eine Debütautorin oder ein Debütautor mitbringen, um bei Ihnen landen zu können, Herr Hörner?
Erst einmal tolle Sätze, das ist das Allerwichtigste. Ich glaube, man muss sich selbst beim Schreiben überraschen, dann hat man die Chance, auch uns im Verlag zu überraschen. Natürlich gibt es noch viele andere Faktoren, die stimmen müssen. Aber die Sprache ist die Grundvoraussetzung.

Die Sprache steht also im Mittelpunkt. Ist das bei allen literarisch ausgerichteten Verlagen so?  
Ja und nein. Die ganz großen Verlage haben gern große Namen, da reicht es vielleicht, wenn die nicht ganz toll, sondern nur gut schreiben. Aber jedem literarischen Verlag geht es schon um die Sprache. Einige legen den Schwerpunkt vielleicht eher darauf, ob der Text inhaltlich spannend oder provokant ist. Auch bei uns reicht eine tolle Sprache allein nicht aus. Der Autor muss auch etwas zu sagen haben. Ich glaube, nur dann entsteht ein richtig guter Roman. Dass es heute so viele Schreibschulen gibt, macht es für Lektoren schwieriger. Wir bekommen viele Manuskripte, die sehr gut geschrieben sind, aber nach 50 oder 80 Seiten frage ich mich: Was ist das Drängende für den Autor? Und merke dann oft: Es ist toll geschrieben, aber es geht um nichts. Das trägt keinen Roman. So etwas ist gutes Handwerk, was auch eine große Leistung ist. Aber bei uns ist man damit nicht richtig.

Muss ich als Autorin oder Autor eine tragische Figur sein, etwas Schlimmes erlebt haben, um einen guten Roman schreiben zu können?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt Autorinnen oder Autoren, auf die das zutrifft, ohne dass sie es sich ausgesucht hätten. Andere haben einfach eine große Vorstellungskraft, setzen sich vor den leeren Bildschirm und erfinden Welten.

Wie finden Sie neue Autorinnen und Autoren?
Das sind vielfältige Wege, von unverlangt eingesandten Manuskripten, über Empfehlungen durch Freunde oder andere Autoren bis hin zu Kontakten mit literarischen Agenturen. Wir besuchen auch Lesungen und Wettbewerbe und hören dort Texte, die wir toll finden. Manchmal sagt mir ein Kollege: Ich habe hier einen Text, den ich gut finde, der aber bei mir nicht reinpasst. Passt er bei dir rein?  

Sie verlegen zeitgenössische Literatur, Klassiker, Sachbücher – also ein sehr breites Spektrum. Was haben Ihre Bücher gemeinsam?  
Das ist schwer zu sagen. Der rote Faden ist tatsächlich, dass es mich und meine Kollegin Esther Kormann überrascht, entzückt, begeistert. Allerdings sind alle unsere Texte emphatisch – selbst die thematisch sehr harten – also im klassischen Sinne humanistisch. Und ich glaube, es gibt kein Buch bei uns, das nicht irgendeine Art von Humor hat; oft ist das ein sehr hintergründiger, indirekter Humor.

Wie finde ich als Autorin oder Autor einen Verlag, der zu mir passt?
Ich glaube, man ist sehr gut beraten, nicht zu breit zu streuen, sondern zu schauen: In welchen Verlagen erscheinen Bücher, die so eine ähnliche Haltung haben, wie mein Text – ich meine, eine Haltung zu Kunst, Kultur, zum Leben, der Existenz überhaupt. Manchmal gibt es Lieblingsautoren, mit denen man eine gewisse Verwandtschaft spürt. Bei welchen Verlagen erscheinen deren Bücher? Darauf kann man sich im Anschreiben an den Verlag auch berufen. Allerdings empfehle ich, nochmal mit kritischer Distanz auf den eigenen Text zu schauen: Besteht diese Ähnlichkeit tatsächlich? Passt mein Text zu diesem Verlag? Der Verlag muss mit dem Buch an sich etwas anfangen können.

Was ist für Sie ein gutes Buch?
Ein gutes Buch ist eines, das mich überrascht. Und ich finde Bücher grandios, die ich lese und dabei denke: Das kann jetzt nicht gut gehen, das Buch muss scheitern, zum Beispiel sprachlich, inhaltlich oder hinsichtlich der Figurenzeichnung. Wenn solche Bücher dann doch funktionieren, begeistert mich das.

Was können Autorinnen und Autoren in Schreibseminaren, beispielsweise der Textmanufaktur, lernen – und was nicht?
Jeder kann lernen, sehr viel besser zu schreiben. Ich glaube, was man nicht lernen kann, auf keiner Schreibschule, das ist Originalität. Die muss man haben. Aber selbst dann ist es wichtig, diese Originalität zu entwickeln. Aber man kann lernen, die Gesetze eines bestimmten Genres anzuwenden, beispielsweise beim Krimi oder dem historischen Roman. Figurenzeichnung und wie man Szenen aufbaut ist erlernbar. Uns bei Galiani interessieren dann die Bücher, die wissen wie man so etwas macht. Aber die es trotzdem nicht machen. Es geht darum, die Gesetze eines Genres anzuwenden – und bewusst zu durchbrechen.

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