Christian Maczek

Autor

Christian Maczek: Der Blick am Ende der Nacht

Februar 2008

Wie findet die Nacht in die Operationssäle, in diese fensterlosen Räume mit ihrer kargen, immer gleichen Einrichtung, in denen man nicht weiß, welche Himmelsrichtung hinter den Wänden liegt? Wie mischt sie sich in das Neonlicht, in die Farben der Monitore, das Summen der elektronischen Geräte? Die Nacht findet hierher, weil man sie mitbringt. Geduldig wartet sie im Dienstzimmer, während man schläft, bis sich der Piepser meldet, um einen in den OP zu rufen. Sie schlüpft in die hastig übergeworfene Kleidung und heftet sich einem an die Fersen auf dem Weg durch die nüchternen Gänge der Klinik, die Bettenstationen, mit ihrem säuerlich-chemischen Geruch, den halb offenen Türen, aus welchen hier und da ein Stöhnen dringt. Die Nacht lässt sich nicht aufhalten und fährt im Lift mit, durchquert die Schleuse zum Waschraum und gleitet durch die automatische Tür hinein in den Operationssaal. Doch manchmal ist die Nacht schon da. Sie wurde von einem anderen mitgebracht. Da liegt sie, unter dem grellen Lichtkegel der OP-Lampe, großflächig abgedeckt mit sterilen Tüchern, abgesehen von einem schmalen Viereck, das den Blick frei gibt auf die klaffende Wunde – blutig dunkelrot.

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