»Für den Plot folge ich der Figur.«

Der Autor Andreas Schäfer im Gespräch

Was treibt die Handlung voran, was sorgt für die Dramaturgie einer Geschichte? Die Figur, sagt der Autor Andreas Schäfer. Wie wir unsere Figuren kennenlernen und warum es ohne sie keinen Plot gibt, darum geht es hier.  

Plot und plotten – die Begriffe benutzen wir inzwischen selbstverständlich, wenn es um das Handlungsgerüst einer Geschichte geht. Andreas Schäfer, was ist das genau: der Plot einer Geschichte?
Der „Plot“ ist tatsächlich zu einem Modebegriff geworden. Er beinhaltet fast eine Art Heilsversprechen: Dass man nämlich das chaotische Material seines Stoffes in eine passende Form bringt, wenn man sich nur lange genug mit dem Plot oder Plotmodellen auseinandersetzt. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Die Gefahr beim fröhlich schematischen Runterplotten besteht darin, die Geschichte ausschließlich aus der Vogelperspektive zu behandeln, über die Bedürfnisse der Figuren hinwegzugehen und dem Text die Luft abzuschnüren. Wenn ich von Plot spreche, meine ich erst einmal eine Wahrnehmungsweise: Die Geschichte, betrachtet durch die Brille der Dramaturgie.

Für Genreliteratur – wie Krimi, Fantasy oder Romance – ist der Plot enorm wichtig. Du selbst schreibst Literatur. Welche Rolle spielt der Plot für Dich beim Schreiben?
Je länger ich schreibe, desto wichtiger wird der Plot oder sagen wir: die Struktur für mich – in dem Sinne, dass ich die wirkungsvollste Version einer Geschichte erzählen will. Welche Grundkonstellation beinhaltet einen starken Konflikt? Welche Transformation macht meine Hauptfigur durch? Wann setze ich welchen Rückblick? Das spielt für mich eine immer größere Rolle. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die grundlegenden Themen, über die ich schreibe, im Wesentlichen die gleichen bleiben. Da ist es eine Herausforderung, diese immer wieder neu und anders zu präsentieren.

Was sind die ersten Schritte, wenn du mit einem neuen Roman beginnst?
Ich habe eine Idee, eine Konstellation, immer ausgelöst durch eine oder mehrere Figuren. Sie führen ein Gespräch, es gibt einen Konflikt oder zumindest eine vielversprechende Reibung. Von so einer Situation aus fange ich sehr schnell an zu schreiben, sammele Szenen, entwerfe Dialoge. Ebenfalls schnell merke ich, dass noch sehr viel Fragen offen sind, zum Beispiel zum Hintergrund der Figuren. Diese Fragen kläre ich aber erst, wenn sie anliegen, weil mir beim Schreiben das geradezu zauberische Entstehen der Figuren gefällt. Vielen Schreibenden – und auch manchmal mir – helfen zwischendurch Übungen, wie zum Beispiel Interviews mit der Figur. Da kommen teilweise völlig unerwartete Dinge ans Licht! 

Dann geht es beim Plotten vor allem um die Figur?
Ja, für mich ist der Plot sehr eng mit den Figuren verbunden. Robert McKee schreibt in seinem Buch „Story“: „Figur ist Plot und Plot ist Figur.“ Das trifft es. Um den Plot zu entwickeln, folge ich der Figur:  Woran glaubt sie? Was gesteht sie sich nicht ein? Wodurch wird sie gezwungen, ihr Innerstes zu zeigen? Ihre Entwicklung ist nichts anderes als der Plot meiner Geschichte. Der Sinn des Plots besteht darin, nach und nach alle Facetten und schließlich ihr Herz ans Licht zu bringen.

Können Plot-Modelle dabei helfen?  
Sie helfen meistens, wenn die Geschichte stockt. Ich verstehe Plot-Modelle als eine Art Geländer, an dem man sich orientieren kann, wenn man nicht weiterkommt. Anhand der Modelle kann ich schauen, ob zum Beispiel Scharnierstellen im Text nicht stimmen oder ob ich mein Thema aus den Augen verloren habe. Das kann leicht passieren, denn manchmal kristallisiert sich das eigentliche Thema erst sehr spät im Prozess des Schreibens heraus. Und ich kann mir mithilfe der Modelle – zum Beispiel der Heldenreise – die Figur und ihre Entwicklungsschritte klarer vor Augen führen.

Sollte man den Plot also nicht vor dem Schreibprozess entwerfen, sondern erst währenddessen?   
Bei Genre-Texten ist das Plotten am Anfang schon sehr sinnvoll und wahrscheinlich auch wichtig – während bei literarischen Texten das Schreiben oft einem Blindflug gleicht. Es entwickelt sich sehr viel beim Schreiben, was toll ist. So wird man immer wieder selbst überrascht. Jeder Text trägt seinen inneren Plot mit sich. Den gilt es herauszuarbeiten. Es kann sehr hilfreich sein, sich früh Gedanken über die Struktur und auch das Ende zu machen. Nur sollte man diese ersten Pläne nicht als in Stein gemeißelt betrachten, sondern als eine Art vorläufigen Fahrplan, der sich im Laufe des Schreibens immer wieder ändern kann. 

Wie setzt du das praktisch um, zum Beispiel in deinem Seminar bei der Textmanufaktur?   
Mir geht es darum, mit dem Begriff des Plots spielerisch umzugehen. Darum heißt mein Seminar Plotentwicklung: So wie sich eine Figur beim Schreiben weiterentwickelt, darf sich auch der Plot entwickeln. Im Seminar schärfen wir den dramaturgischen Blick. Dafür schauen wir uns die Figuren in ganz konkreten Situationen an. Außerdem wechseln sich Übungen, die eher assoziativer Natur sind, mit Übungen ab, bei denen der Stoff verdichtet, Konflikte, Widerstände und die zentralen Wendungen auf den Punkt gebracht werden – das alles an und mit den Projekten der Teilnehmenden. Das ist wie aus- und einatmen: erst in die Weite, dann Konzentration, dann wieder in eine konkrete Szene. So entsteht langsam ein Gefühl für die Form des Ganzen.

Andreas Schäfer

Andreas Schäfer 1969 in Hamburg geboren, wuchs bei Frankfurt/Main auf, studierte Religionswissenschaften und Germanistik und lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er war als Autor für die Berliner Zeitung und darauf für den Tagesspiegel tätig, bevor er sich ganz dem literarischen Schreiben widmete. Er verfasst Romane, Essays, Libretti, …
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